Eine Kolumne von Franziska Augstein
Gleichstellung ist keine Frage der Grammatik, sondern der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Sprache ist biegsam, die sozialen Verhältnisse sind im Fluss. Beide haben gemeinsam: Auf Kommando verändern sie sich nicht.
Mag Ostern auch längst vorbei sein, mag Pfingsten dräuen: Bei uns zu Hause auf dem Tisch steht immer noch ein Hasenpaar. Damit mache ich eine zwanzig Jahre alte Geringschätzung wett. Damals kamen diese zwei kleinen bemalten Tonfiguren auf uns, die ich damals als Kitsch abtat und in ein hohes Schrankregal verbannte. Für diese Ostertage – viele Menschen, nicht zuletzt CSU-Politiker, werden im Alter toleranter – habe ich das Pärchen aufgestellt.
Die nähere Betrachtung lohnt sich: Frau Häsin hält das Schnäuzlein stolz empor. Die Pfoten hat sie autoritär vor der Brust verschränkt. An ihrer Schürze baumelt eine Geldbörse, die anzeigt, wo Herr Hase den Most, genauer: die Penunse, holt. Herr Hase für sein Teil schaut gewissenhaft-selbstgewiss ins Weite, die Pfeife in der einen Pfote, die Schippe in der anderen: Es gibt viel zu tun, packen wir’s an.
Frau Häsin und Herr Hase sind vollständig geschlechterstereotyp gestaltet. In kleinen französischen Läden ist es üblich, dass »la patronne« an der Kasse sitzt und »le patron« die grobe Arbeit macht: mit dem Fleischerbeil Koteletts zentimetergerecht zurechthacken zum Beispiel. In vielen deutschen Handwerksbetrieben obliegt der Frau die Rechnungsführung, während der Mann auszieht, um Hand anzulegen. So ist die Wirklichkeit.
Man kann sich das alles anders wünschen. Hollywood macht es uns vor: Da sind Frauen in Actionfilmen – hauteng bekleidet – genauso kräftig wie Männer, stark auf jeden Fall in asiatischen Kampfsportarten.
Die Schauspielerin Robin Wright hat für ihre Rolle als ruchlose Gattin von Frank Underwood in der US-Serie »House of Cards« weniger Gage erhalten als ihr Filmehemann Kevin Spacey. Frauen aller Berufe verdienen im Schnitt weniger als Männer.
Dem wird die von Wohlmeinenden geforderte verbindliche Sternchen-Schreibweise (es gibt auch andere Vorschläge) nicht abhelfen. Gesellschaftliche Veränderungen geschehen nicht, weil Interessengruppen das wünschen, und schon gar nicht geschehen sie mittels sprachlicher Verordnungen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Nicht alle Bürger*innen wären beglückt, von Politiker*innen oder Verwaltungsbeamt*innen instruiert zu werden, wie sie ihren Arbeitergeber*innen und anderen Adressat*innen künftig schreiben sollen. Das Sternchen steigt nicht empor, es ist ein Böller, der viele einfach bloß verscheucht.
Die Gleichstellung mittels Sprachpolizei durchsetzen zu wollen, ist eine schlechte Idee. Heute kommen »Polizistinnen« und »Richterinnen« uns als so normale Wörter vor, wie der Umstand es ist, dass Frauen diese Berufe endlich ausüben. Noch in den Fünfzigerjahren wurde die Jurastudentin und spätere Hamburgische Justizsenatorin Lora Maria Peschel-Gutzeit in einer Vorlesung vom Professor so angesprochen: »Mädchen, geh’n Sie nach Hause und schäl’n Sie Kartoffeln.« Die deutsche Sprache ist konzilianter als dieser Professor. Sie ist biegsam, gefügig, sie benimmt sich gleichsam wie die Männerwelt es früher von Frauen erwartete. Aber nicht alles macht die Sprache auf Anhieb mit: »Feldwebelin« klingt (derzeit noch) mehr nach einer Verhohnepipelung denn nach einem Dienstgrad. Und wenn es heißt, Marie Müller sei die erste Forscherin, die sich mit der Frage X befasst hat, dann impliziert das: Vor Marie hätten Männer diese Frage auch schon behandelt.
Im Übrigen halten viele Frauen es für eine Zumutung, vornehmlich über ihr Geschlecht definiert zu werden. Das hat die 32 Jahre alte Schriftstellerin Nele Pollatschek neulich im »Tagesspiegel« auf den Punkt gebracht: »Ich gendere nicht, ich möchte nicht gegendert werden.« Sie sei nicht bloß eine Frau, sie sei eine Jüdin in Deutschland, sie sei ein Individuum, das über ihr Geschlecht und ihr Judentum hinweg seine Eigenheiten hat. Nele Pollatschek möchte grundsätzlich und zuallererst als ein Mensch gelten. Das ist übrigens auch eine der Gelegenheiten, wo die Sprache biestig wird: »Menschin« und »Menschinnen« mag sie nicht.
Die Genderdiskussion: Es ist ein weites Feld. Wie Lesben, Schwule, Transgendermenschen, Asexuelle, sich selbst als »divers« Definierende ihr Selbstverständnis sprachlich zur Geltung bringen können; wie ihren Genderbedürfnissen in der Praxis, zum Beispiel im Hinblick auf die nötige Toilettenvielfalt in öffentlichen Räumen, entgegengekommen werden soll oder kann: Das wird noch viele Debatten ergeben. Debatten, die besser wichtigeren Fragen gewidmet werden sollten: der waltenden Ungleichheit in der Welt und in Deutschland, dem Klimawandel und seinen Auswirkungen, mit einem Wort: der Zukunft und dem Überleben der Menschheit.
Pfingsten steht vor der Tür. Da kommt, so sagt es die Schrift, der Heilige Geist über die Menschen. Anders als Herr Osterhase ist der Heilige Geist alleinstehend. Er kommt als der Geist – ohne Geistin. Trotzdem reißt er die Gläubigen, so lehrt es die Religion, heraus aus den Zusammenhängen, in denen sie bisher gedacht und gelebt haben. Die Gesellschaft braucht so einen Gleichstellungsgeist, nicht eine Gleichstellungssprache.
Spiegel.de, 24.04.2021