Covid-19-Angst: Die Tat als Untat

Eine Kolumne von Franziska Augstein.

Laut Umfragen wünschen es sich die meisten Deutschen so: Sie mögen gegen Covid-19 und seine Mutanten von regierungsamtlicher Seite noch viel weiter eingeigelt werden, als eh schon der Fall ist. Hier daher ein Vorschlag zur vollständigen Durchsetzung dieses Begehrens: Alle Tankstellen müssen schließen.

Das hätte enorme Vorzüge. Einreisende – quasi alle gelten als gefährlich – könnten per Auto bloß wenige Kilometer ins Bundesgebiet eindringen, eben so weit die Tankfüllung reicht. Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommernmüssten Feriengästen die Einreise nicht mehr verweigern: Ohne Benzin schaffen selbst Anrainer aus Brandenburg es kaum nach Mecklenburg-Vorpommern hin und zurück.

Im Namen der Coronabekämpfung sollte auch das Handwerk die Kelle hinlegen. Immer noch ist es so: Unverdrossen und ohne Rücksicht auf die Infektionsrate arbeiten Bauarbeiter im Freien auf Baustellen. Daran kann man sie bloß mit brachialem Mittel hindern. Wenn diese Leute kein Benzin mehr bekommen, um zur Arbeit zu fahren, könnten alle Baustellen brachliegen.

Was die Lebensmittelversorgung angeht: Im Rahmen der Schließung aller Tankstellen sollten auch sämtliche Geschäfte geschlossen werden. Die Bundesregierung unterstützt seit Ausbruch von Covid-19 den Niedergang der kleinen Läden. Sie setzt, ob es ihr bewusst ist oder nicht, auf Onlinehandel. Der kann ohne die Tankstellen und ihr Benzin laufen: Die diversen Onlinegiganten werden ihre Lieferanten mühelos danach auswählen können, ob sie E-Autos zur Verfügung haben. Die Versorgung der Bevölkerung mit Kalorien wäre also gesichert.

Unsere Regierenden in Bund und Ländern brauchen glücklicherweise sowieso kein Benzin: Sie haben Techniker, die ihnen das Zoom-Regieren so eingerichtet haben, dass es sichtlich funktioniert. Und was sie sagen, nimmt sich gar nicht anders aus, als wenn sie sich und uns leibhaftig begegneten.

Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat vor Ostern eine ordentliche Rede gehalten. Er erwähnte die waltende Coronamüdigkeit, dies aber bloß, um zu dem Schluss zu kommen: Die Deutschen sollten sich zusammenreißen; und alle sollten ihr Bestes »tun«.

Das Verb »tun« ist schillernd. Es kann ganz viel und es kann ganz wenig bedeuten. Wenn man sagt »ich mag das nicht tun«, dann liegt der Akzent auf »mag« und »nicht«. Wenn es hingegen darum geht, was man tun soll, dann gewinnt das Verb Gewicht. Der Bundespräsident ruft die Deutschen auf, ihr Teil zum Abflauen der Pandemie zu »tun«. Da führt das Verb in die Grube, in der seine umsichtige Rede sich zusammenkuschelte. In Wahrheit hat er nämlich seine Landsleute dazu aufgerufen, nichts zu tun: zu Hause bleiben, niemanden sehen, kein Leben haben jenseits von Familie und Arbeit (sofern man das eine und/oder das andere hat). Frank-Walter Steinmeier hat seine Rede absolviert. Er hat sich nicht klargemacht, wie leidvoll Untätigkeit die Menschen ankommt, wie Untätigkeit die Menschen niederdrückt, dass Untätigkeit meistens wie Einsperrung empfunden wird. Man mag ihn und seine Redenschreiber an den Zettel erinnern, der früher an etlichen Bürotüren und Kühlschränken angepappt war: »Wenn ich die Kraft dazu hätte, würde ich gar nichts tun«.

Vorderhand bleibt es dabei: Die Regierungen von Bund und Ländern erlassen Verordnungen ohne die ausreichende gesetzliche Grundlage. Die meisten Experten sagen, im Freien könne man sich kaum anstecken. Die Verordnungen lauten anders, man weiß nicht, warum. Etliche Experten sagen, in hygienisch gut bestellten Theaterräumen könne man sich kaum anstecken. Die Verordnungen unterbinden das öffentliche Leben.

Die Bundesregierung und die Länderregierungen haben sich nicht die Mühe gemacht, zu eruieren, wo man sich ansteckt. Sie regieren technokratisch, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. Die Bevölkerung wird aus allen öffentlich-rechtlichen Kanälen und den privaten TV-Sendern beschallt mit immer neuen Warnungen. Die Dauerbeschallung macht Angst, und sie bewegt zu Aggression. Derzeit heißt es: Jetzt noch einen Lockdown durchstehen, Einschränkungen, bis die »dritte Welle« von Covid-19 überwunden sei, dazu auch die Mutante aus Britannien. Es ist schade, dass das Internet nicht an den Tankstellen aufgetankt werden muss. Dann wäre der Lockdown noch wirkungsvoller. Die »vierte Welle« von Covid-19 ist übrigens schon im Anrollen.


Spiegel.de, 10.04.2021
Dieser Text stammt aus „Post von Augstein“ – einer Kolumne auf Spiegel.de
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