30 Mio in bar

Familienunternehmen gelten als das Herz der deutschen Wirtschaft. Um sie wird die Bundesrepublik im Ausland beneidet. Also: Auf nach Stuttgart zu einem Treffen mit Brun-Hagen Hennerkes, der alles über Familienunternehmen weiß und zu den wenigen gehört, die Angela Merkel auf den Arm nehmen dürfen.

VON FRANZISKA AUGSTEIN

Was bei Christen das Kreuz an der Wand, das ist in der weiteren Bundesrepublik der Mittelstand. Er wird beschworen, von ihm erhofft man sich Rettung vor fast allem: den Auswüchsen der Globalisierung, dem Verlust von Heimat, der Ausdünnung der Sozialpartnerschaft und dem – zumindest denkbaren – minimalen Rückgang der Exporte. Tatsächlich ist der Begriff aber falsch gewählt: Der Jurist Brun-Hagen Hennerkes legt Wert darauf, dass hier zwei Wörter miteinander verwechselt werden. Zum Mittelstand gehören schließlich auch Universitätsprofessoren und Beamte, die zur Produktivität unmittelbar wenig beitragen. Nein, sagt Hennerkes: Wer von Mittelstand rede, meine sehr oft eigentlich Familienunternehmen.

Hennerkes hat 2002 die „Stiftung Familienunternehmen“ gegründet. Das ergab sich aus seiner Arbeit. Seit Jahrzehnten berät seine Kanzlei Familienunternehmer, wobei sie auf die Schnittstelle zwischen dem Privaten und dem Unternehmerischen spezialisiert ist. Vieles hat Hennerkes erlebt, worüber er – das Anwaltsgeheimnis verbietet es – nicht sprechen darf. Gleichwohl kommt der 78-Jährige mit der Abfassung seiner Memoiren gut gelaunt voran.

Deutsche Familienunternehmer sind traditionell sehr zurückhaltend. Mitunter treten sie in Werbespots auf. Besonders beruhigend wirken die der Firma Hipp: Früher ließ nur der Alte, Claus Hipp, sich filmen, um die Bekömmlichkeit seiner Babynahrung anzupreisen: „Dafür bürge ich mit meinem Namen.“ Aber schon vor sieben Jahren gab es einen Spot, in dem er und sein Sohn Stefan gemeinsam bürgten. Vermittelt wurde: Bei uns herrscht Kontinuität. Nicht ganz klar ist, ob die Werbeleute der Firma Hipp sich da an Angela Merkels kontinuierlicher Amtsführung orientiert hatten, oder ob nicht vielmehr die Deutschen Merkel auch deshalb immer wieder gewählt haben, weil Werbung wie die von der Firma Hipp so beruhigend ist.

Was Brun-Hagen Hennerkes angeht: Ihm ist diese Frage Jacke wie Hose. Angela Merkel mag er, auch für ihre Anständigkeit. Einige kleine Geschenke hat er ihr schon geschickt. Alles, sagt er, habe sie zurückgehen lassen – sogar die Einladung zu vier Stunden Langlaufunterricht. Die ließ er ihr zukommen, nachdem Merkel 2014 beim Langlaufen verunglückt war. Ihm gefällt es, dass sie ihm diese Frotzelei nicht nachgetragen habe.

Hennerkes’ Herz schlägt für Familienunternehmen. Das sind neun von zehn deutschen Unternehmen, zusammen beschäftigen sie 57 Prozent aller Mitarbeiter in der Privatwirtschaft. Hennerkes teilt sie in verschiedene Kategorien. Vor allem die „Königsklasse“ der großen, international erfolgreichen Unternehmen sei wichtiger geworden. Die übrigen teilt Hennerkes in zwei Kategorien: Da gibt es die „kleinen und mittleren“ mit wenigen Mitarbeitern: Wenn der Senior keinen Erben habe, dann werde das Geschäft halt aufgelöst, Kundschaft und Arbeitnehmer wechselten „zum Klempner um die Ecke. 20 000 bis 30 000 Unternehmen gehen pro Jahr ein, viele können die Nachfolge nicht regeln. Volkswirtschaftlich entstehe dabei kein großer Schaden. Dann gibt es die Gründer, die versuchen als Dienstleister oder auf dem Tech-Sektor Fuß zu fassen. Die Hälfte „schließt innerhalb von fünf Jahren wieder ihre Pforten“. Viele verenden; erfolgreiche werden aufgekauft.

Das ist keine Kundschaft für Hennerkes’ Stuttgarter Kanzlei. Ihre teure Beratung lohnt sich oft erst dann, wenn ein Familienunternehmen mindestens 150 Millionen Euro Umsatz pro Jahr hat; es können aber auch Milliarden sein. Von dieser Sorte Unternehmen gibt es in Deutschland mehr als zehntausend. Wenn Hennerkes über so große, florierende Firmen redet, gerät er ins Schwärmen: „Die Kosten pro Patent sind bei ihnen fünfmal günstiger als im Großkonzern.“ Pro Mitarbeiter entwickelten sie sechsmal so viele Patente wie Großkonzerne. 1200 Familienunternehmen sind „in ihrer Nische Weltmarktführer“. Von 2006 bis 2014 bauten die 500 größten Familienunternehmen die Beschäftigung in Deutschland um 19 Prozent aus.

Gefahren aber dräuen: Die erste ist die Börse. Wer an die Börse geht, muss einen Hai gewärtigen, der so viele Aktien erwirbt, dass er im Unternehmen mitreden darf oder es gar übernehmen kann. Das war der Grund, warum Bertelsmann seine Aktien zurückkaufte und sich von der Börse zurückzog. Hennerkes sagt: „Das sind die Probleme, die ,Heuschrecken’ machen. Investoren picken sich eine Firma raus: Dann beginnt das Gebäude zu wackeln. Das ist für die deutsche Wirtschaft gefährlich.“ Übel auswirken kann sich auch die Vermehrung der Gesellschafter: Wenn alle Kinder des Gründers mitreden dürfen, kommt es vor, dass einzelne sich zurückziehen und ausgezahlt werden wollen. (Hennerkes sagt, bei Familienunternehmen zwar für das Geschäft unfähige Söhne angetroffen zu haben, aber nie Playboys.)

Das Schlimmste sei die Renovellierung der Erbschaftsteuer. Die neue Regelung kann bei Übertragungswerten von mehr als 26 Millionen Euro in das Privatvermögen eingreifen. Teile des Betriebsvermögens werden aber verschont, sofern Erben sich verpflichten, auf einige Jahre hin Arbeitsplätze zu erhalten und den Betrieb fortzuführen. Hennerkes aber sieht die Zeichen an der Wand: Zu hohe Besteuerung – die nötige Auflösung oder der Verkauf des Unternehmens im Erbfall – schlimm.

Am Ende des Gesprächs möchte man noch gern wissen, wen Brun-Hagen Hennerkes, der milliardenschwere Klienten beraten hat, für wirklich reich hält. „Es kommt darauf an“, sagt er „ob es sich um stilles Vermögen handelt oder ob es flexibel handhabbar ist. Wenn jemand 30 Millionen Euro frei zur Verfügung hat, dann ist er wirklich reich.“


Aus: Süddeutsche Zeitung (Deutschland) vom 06.04.2018 – Seite 20
Dieser Text stammt aus „Augsteins Welt“ – einer vierzehntägigen Kolumne in der Süddeutschen Zeitung.
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