Der Mann, der immer mehr wollte

Ein Festakt in der Münchner Residenz, Huldigungen in der Familiengruft: 2015 war für die CSU auch das Jahr von Franz Josef Strauß. Peter Siebenmorgen hat dem vor 100 Jahren geborenen bayerischen Politiker eine meisterliche Biografie gewidmet

VON FRANZISKA AUGSTEIN

Bewundert viel und viel gescholten.“ Diese Worte aus der Rede der Helena in Goethes Faust treffen auf Franz Josef Strauß nicht zu. Sie sind nämlich maßlos untertrieben. Strauß wurde angehimmelt, und er war verhasst, dass es krachte. Vor mehr als fünfzehn Jahren begann der Publizist Peter Siebenmorgen die Arbeit an einer Strauß-Biografie. Der lange Aufschub der Publikation hat dem Werk gutgetan. Die Anschauung des Autors wurde geläutert.

Siebenmorgen hatte Zugang zu sämtlichen Akten der Familie. Das verpflichtet: Harte Urteile könnten als Vertrauensbruch aufgefasst werden. Umso tapferer zeigte sich Siebenmorgen, indem er die Treuhandgesellschaft Eureco ausführlich beschrieb. Die Nachricht davon ging nach Erscheinen seines Buches durch die Medien: Offiziell eine Beratungsfirma, diente Eureco in Wahrheit dazu, Straußens Privatvermögen mit Alimenten großer Unternehmen zu mehren.

Im Übrigen schreibt Siebenmorgen aus eher ironisch-distanzierter Perspektive. Er schildert Strauß, als hätte er es mit einem Volkstribun des alten Rom zu tun. Was Siebenmorgen zu Straußens psychischer Verfasstheit einfällt, bleibt an der Oberfläche. Das macht aber nichts: Gute Recherche, die gekonnte Auswahl der berichtenswerten Details und ihr schwungvoll-amüsanter Stil machen diese Biografie zur besten, die je über den demokratischen König von Bayern verfasst wurde.

Siebenmorgen hält sich nicht lange auf mit Straußens Selbstbeschreibung als eine Art Widerstandskämpfer zur Nazi-Zeit, hält wohl auch vieles für sehr übertrieben. Festzuhalten ist: Ehrlich gläubige Katholiken im Deutschen Reich, und das waren die Eltern – der Vater war zudem Monarchist –, konnten dem gottlosen Hitler nicht folgen. Der Wehrmachts-Veteran Franz Josef hatte sich nach dem Krieg nichts vorzuwerfen. Auch deshalb mag er sich vielleicht geleistet haben, auf einen „Schlussstrich“ zu dringen, lange bevor die Deutschen ansatzweise gelernt hatten, die historische Verantwortung anzunehmen, die sich aus der Schoah ergibt.

Straußens Vater, ein Metzger, war laut Siebenmorgen „ein Kleinhandwerker am Ende der Zunfthierarchie“. Mit seiner überragenden Intelligenz und seiner Tatkraft hat sein Sohn es dann weit gebracht. Erstaunlicherweise, schreibt Siebenmorgen, habe Strauß „kaum Züge des Parvenühaften erkennen“ lassen. Er führt das auf das Selbstbewusstsein zurück, wie es sich aus dem Wissen speist, „dass es letztlich die eigene Leistung ist, die ihn vorangebracht hat“. Ist das glaubhaft? Warum legte Strauß größten Wert auf die Bekanntschaft mit Millionären und weltbekannten Leuten, zu denen auch Menschenschlächter zählten wie Idi Amin und Augusto Pinochet? Warum war es ihm so ungeheuer wichtig, nicht bloß große Autos zu chauffieren, sondern auch Flugzeuge zu lenken? Treffen da nicht vielleicht Buben-Fantasien und das Trachten des Emporkömmlings, immer ganz oben mitzuspielen, zusammen? Das Treffen mit Pinochet 1977 habe Strauß eine Professur honoris causa an der Universität von Santiago de Chile eingetragen, schreibt Siebenmorgen. Andere Quellen nennen lediglich einen Dr. h.c. Wie dem auch sei: Zurück in der Heimat ließ der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gleich neue Briefbögen drucken. Erst im letzten Moment konnte verhindert werden, dass die zum Einsatz kamen.

Sehr schön arbeitet Siebenmorgen heraus, warum Franz Josef Strauß sich selbst im Wege stand. Das lag nicht bloß an seinen sprachlichen Ausfällen: wenn er sagte, der Sozialismus sei nur „eine Form des Nationalsozialismus“; wenn er einen Publizisten als „Schmeißfliege“ bezeichnete; wenn er Unionspolitiker als „Pygmäen“ beschimpfte. Als er APO-Studenten, die (durchaus eklige) Ordnungswidrigkeiten begangen hatten, nachsagte, die seien „wie Tiere“, und daher sei die normale Rechtsprechung für solche wie sie nicht gemacht, widersprach der Deutsche Richterbund. Nein, an all dem lag es nicht, jedenfalls nicht in erster Linie.

Franz Josef Strauß wollte sich in den politischen Apparat nicht einfügen, er wollte immer mehr, als ihm zugestanden wurde. Das suchte er oftmals intern durchzusetzen: mit anmaßenden Briefen, die alle ärgerten, die sie erhielten. Weil er maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass die CSU für Konrad Adenauer ein Bündnispartner wurde, weil er außerdem ein guter Stimmenfänger war, musste der Kanzler ihn im neuen Kabinett von 1953 bedenken. Strauß wurde Bundesminister für besondere Aufgaben. Adenauer wähnte, das junge „Füllen“ – Strauß war erst 38 Jahre alt – damit eingehegt zu haben. Von wegen. „Bundesminister für selbstgestellte Aufgaben“, sagte Strauß sarkastisch und lamentierte in einem Brief an Adenauer: Als Sonderminister habe er „die Pflicht, alle Kabinettsvorlagen, frei von Ressort-Gebundenheit (. . .) zu prüfen und zu beurteilen.“ Kurz: Er wollte sich zum Überminister machen.

An Strauß war, das sah Adenauer ein, kein Vorbeikommen. Er wurde Atomminister. Mit Detailfragen der Atom-Technologie – ob er sie wirklich verstand, kann Siebenmorgen nicht sagen – befasste er, der Technik-Fan, sich mit einiger Leidenschaft. Aber seine Arbeit gestaltete sich mühsam: Die deutsche Industrie und die Bundesregierung verhakelten sich in der Frage, wer die Riesenausgaben für die geplanten Atomkraftwerke auf sich nehmen solle. Viel interessanter war das Verteidigungsministerium. Nicht zuletzt mittels ein klein wenig Intrige gegen den glücklosen Vorgänger, dem nachgesagt wurde, er sei gesundheitlich angeschlagen, erhielt Strauß dieses Amt 1957.

Die Bundeswehr, so sagte er Mal um Mal, brauche Atomwaffen: Eine Nation ohne Atomwaffen sei „deklassiert“. Schon 1956 hatte Strauß bei einer Sitzung der Unionsparlamentarier erklärt, so Siebenmorgen, „Macht sei heutzutage gleichbedeutend mit militärischer Macht, und über diese verfüge nur mehr, wer Atommacht ist; ohne nukleare Bewaffnung würde Deutschland allenfalls den ,Bäcker und den Küchenjungen‘ für die anderen Verbündeten abgeben.“ Bei dieser Meinung blieb Strauß auch, als die Regierung des US-Präsidenten Kennedy Anfang der Sechzigerjahre verstärkt auf konventionelle Bewaffnung setzte und das auch von den Verbündeten forderte. Er wollte offenbar nicht begreifen, dass die „Macht“ der Bundesrepublik vornehmlich in ihrer Wirtschaftskraft beruhte. Und er mochte nicht hinnehmen, was die USA eingesehen hatten: dass die Drohung mit einem atomaren Erstschlag für den Weltfrieden gefährlich war.

Als indes die Regierung Brandt dann ihre neue Ostpolitik begann, war Strauß in Siebenmorgens Augen vor allem deshalb dagegen, weil er den Protagonisten der sozialliberalen Koalition nicht über den Weg traute. In den frühen Siebzigerjahren erblickt Siebenmorgen die Phase des Umschlags: Strauß war nun kein politischer Modernisierer mehr, sondern ein „Relikt aus ferner Zeit“. Das hat etwas für sich: Strauß verdammte die protestierenden Studenten, ohne ihre Anliegen zu verstehen. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe lehnte er ab. Naturschutz: war kein Thema. Strauß hatte geholfen, Bayern zu einem Industrieland zu machen, was sollte er als bayerischer Ministerpräsident in den Achtzigerjahren sich abgeben mit Studenten und alten Bäuerinnen, die in Wackersdorf gegen eine Aufbereitungsanlage von Atommüll demonstrierten? Helmut Kohl hat er zum eigenen Schaden jahrelang unterschätzt.

Gern wäre Strauß im Jahr 1980 Bundeskanzler geworden. Warum das nicht möglich war, fasste seine Frau bündig zusammen: „Das Bundeskanzleramt gewinnt nie ein Sepplhut.“ Der Marianne Strauß hat Siebenmorgen ein ganzes Kapitel gewidmet, genauer: ihrem Tagebuch. Die lakonischen Worte, mit denen sie ihren Mann darin beschrieb, sind erschütternd. Im Gespräch mit der SZ sagte Siebenmorgen, die härtesten Formulierungen habe er aus Rücksicht auf die Familie nicht zitiert.

Für Straußens Zeit als bayerischer Ministerpräsident, die 1978 begann, interessiert Peter Siebenmorgen sich ungefähr so sehr und so wenig wie der Inhaber des Amtes selbst, der seine Leute in München machen ließ und stattdessen lieber Potentaten fremder Länder besuchte. Dazu zählten auch Treffen mit Erich Honecker, die den legendären Milliardenkredit für die DDR erbrachten, den Helmut Kohl billigte, obgleich er darüber verärgert war, dass Strauß ihm – für einmal – die Lorbeeren stahl.

Mitunter liegt Siebenmorgen schief: Die militärische Idee der „Vorwärtsverteidigung“ wurde wohl kaum „auf deutsches Bestreben“ durchgesetzt. Das Konzept hatte der Nordatlantikrat 1952 beschlossen, drei Jahre vor der Gründung der Bundeswehr und dem Beitritt der Bundesrepublik zur Nato. Und trotzdem soll die Bundesrepublik dem Nordatlantikrat eingesagt haben, was er zu planen habe? Wer das schreibt, auch wenn er es in einer Akte des Bundeskanzleramts von 1958 gelesen hat, wirkt ein bisschen leichtgläubig.

Das Gleiche gilt für die fröhliche Wiederholung der alten Heldensaga, derzufolge der Finanzminister Strauß und der Wirtschaftsminister Schiller 1967 die deutsche Wirtschaft gerettet hätten: „kaum ein halbes Jahr im Amt“, schreibt Siebenmorgen, habe deren „Kur“ schon Erfolg gezeitigt. Ganz erstaunlich, wie fix das damals gelaufen sein soll! Wie der Historiker Ulrich Herbert herausgearbeitet hat, handelte es sich 1967 denn auch lediglich um eine „Konjunkturdelle“, zu deren Ausbeulung die Politik nicht viel beitragen musste.

Der chilenische Präsident Salvador Allende ist mit dem Rubrum „moskau-höriger Marxist“ nicht passend beschrieben; mindestens ebenso sehr ließ er sich von Peking und Kuba inspirieren. Und anders als Siebenmorgen meint, wurde Allende mit höchster Wahrscheinlichkeit 1973 nicht von Pinochets Schergen umgebracht, sondern nahm sich selbst das Leben.

Dieser kurzweiligen Biografie sind viele Auflagen zu wünschen. Vor dem nächsten Druck könnten ein paar Passagen vielleicht noch geändert werden.


Aus: Süddeutsche Zeitung (Deutschland) vom 29.12.2015 – Seite 13
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