Jeremy Scahill zeigt, wie die Regierungen Bush und Obama ihre Macht missbraucht haben
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Folter, die Bombardierung Unschuldiger, militärische Geheimeinsätze in befreundeten Ländern, die Ermordung von Alten, Frauen und Kindern mittels Drohnen, ungerechtfertigte Massenfestnahmen, illegale Abhörmaßnahmen gegen die eigene Bevölkerung, der Abbau ihrer Bürgerrechte und die Exekution eigener Bürger ohne ordentlichen Prozess: Die Regierungspolitik der Vereinigten Staaten hat eine Entwicklung genommen, von der auch Amerikaner entsetzt sind.
Einer von ihnen ist der 38 Jahre alte, vielfach ausgezeichnete Journalist Jeremy Scahill, dessen berufliche Laufbahn in den 90er-Jahren damit begann, dass er unentgeltlich für den nichtkommerziellen Radiosender „Democracy Now!“ arbeitete. Seine Recherchen über die Söldner des paramilitärisch einsetzbaren Unternehmens Blackwater trugen 2007 entscheidend dazu bei, dass der US-Kongress eine Untersuchungskommission einberief. Die Liste der oben genannten Straftaten entstammt seinem neuen Buch „Schmutzige Kriege“.
Im Besonderen dreht Scahills Buch sich darum, wo und wie Menschen auf Geheiß der US-Regierung von geheim arbeitenden militärischen Spezialeinheiten ohne ausreichende rechtliche Grundlage umgebracht werden. Der Autor hat vorzüglich recherchiert und viele Kontakte zu Leuten, die für die US-Regierung, für US-Geheimdienste und das Militär arbeiten oder gearbeitet haben. Außerdem hat er mit radikalen Islamisten und mit vielen muslimischen Opfern der US-Politik gesprochen. Sein Buch wirft die Frage auf, inwieweit man die USA noch einen funktionierenden Rechtsstaat nennen kann.
Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die USA ihre nationalen Interessen auf globaler Ebene oftmals nach der Strategie der robusten amerikanischen Comic-Helden der Nachkriegszeit verfolgt: Zuschlagen, triumphieren. Was die Folgen sind? Das spielte damals so wenig eine Rolle wie heute.
Im Auftrag der Regierung, resümiert Scahill, organisierten geheime CIA-Kommandos in den 50er- und 60er-Jahren den Sturz von Regierungen „in Lateinamerika und im Nahen Osten“; sie unterstützten „Todesschwadronen in Mittelamerika“; Militärjuntas und Diktaturen leisteten sie Beistand; während des Vietnamkriegs wurden Laos und Kambodscha heimlich bombardiert. Alles das war aus Sicht der Regierenden gerechtfertigt. Schließlich befand man sich im Kalten Krieg. Nach Präsident Nixons Watergate-Affäre war es freilich genug. Die USA waren innen- und außenpolitisch desavouiert. Der republikanische Präsident Gerald Ford erließ 1976 ein Dekret, das, mit Scahills Worten, „den USA ausdrücklich die Durchführung ,politischer Attentate‘ untersagte“. Sein demokratischer Nachfolger Jimmy Carter verschärfte die Auflage.
Fords Dekret gilt bis heute. Scahill erzählt, mit welchen Schlichen alle US-Regierungen von Reagan bis Clinton sich darum herummogelten, sofern sie ihre Aktivitäten nicht gleich am Kongress vorbei im Geheimen arrangieren ließen.
Die US-Verfassung räumt dem Präsidenten viel Macht ein. Dass die Amtsträger ihre Befugnisse oftmals sehr weit auslegen und gern an der parlamentarischen Zustimmung vorbei arbeiten, ergibt sich aus dem System. Scahill zeigt nun aber, dass mit Antritt von Bush junior der „Machtmissbrauch durch die Regierung“ Methode bekommen habe: Seither sei „der Einsatz militärischer Eliteeinheiten, die sich allein dem Weißen Haus gegenüber zu verantworten haben“, üblich geworden. Nicht so sehr den wiedergeborenen Christen und erfolglosen Unternehmer George W. Bush, der 2000 zum Präsidenten gewählt wurde, sondern mehr noch seine neokonservative Entourage macht Scahill dafür verantwortlich – vorneweg den damaligen Vizepräsidenten Richard Cheney und den Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.
Beide hatten schon viel Regierungserfahrung. Unter Bush junior konnten sie endlich umsetzen, wenn auch teils in Konkurrenz zueinander, was ihnen zuvor verwehrt war: Cheney trachtete danach, so Scahill, „der Exekutive“, also dem Präsidenten und sich selbst, „immer mehr Macht zu verschaffen“. Schon zu Zeiten von Bush senior habe Cheney ein Manifest verfasst, in dem es hieß, die USA müssten eine Politik betreiben, die „potenzielle Konkurrenten“ davon abschrecke, „eine größere regionale oder globale Rolle auch nur anzustreben“.
Rumsfeld für seinen Teil hatte, laut Scahill, bereits in den 90er-Jahren Pläne für Regimewechsel im arabischen Raum geheckt. Dann, zum Verteidigungsminister bestellt, erklärte er, der wahre „Feind“ der USA sei „die Bürokratie des Pentagon“, er wolle sein Ministerium „befreien“.
Kaum dass Bush an der Regierung war, drangen seine Sous-Chefs darauf, Saddam Hussein zu stürzen. Die Frage war freilich, wie das gegenüber dem Kongress durchgesetzt werden könne. Ja, wie?
Nach den Anschlägen am 11. September 2001 hieß es in den westlichen Medien pathetisch, nichts werde nun mehr sein wie zuvor. Scahill zeigt, dass es anders war: Unter dem schockierenden Eindruck der Attentate gab der Kongress der Regierung die Vollmacht umzusetzen, was die „Neocons“ längst vorgehabt hatten, und – so Scahill – „einen weltweiten grenzenlosen Krieg gegen einen staatenlosen Feind zu führen“: Bushs Krieg gegen den Terror. Die Folge: „So wie die Türme des World Trade Center in sich zusammenstürzten, kollabierte das System der Kontrolle und Prüfung verdeckter Tötungsaktionen, das im Laufe des vorangegangen Jahrzehnts sorgfältig aufgebaut worden war.“
Nun, schreibt Scahill, „erklärte die Regierung Bush die gesamte Welt zum Schlachtfeld“. Cheney sagte, man müsse „sozusagen auf der dunklen Seite arbeiten“. Und: „Wir müssen uns in die unsichtbare Welt der Nachrichtendienste begeben.“ Was unter der „dunklen Seite“ zu verstehen ist, muss jeden schaudern machen, der dieses Buch liest.
Die US-Regierung hatte sich auf den Sturz Saddam Husseins eingeschossen. Der Krieg, den sie dann entfesselte, band allzu viele ihrer Kräfte. Scahill erklärt, warum die Herrschenden in Washington sich nicht darum kümmerten, Afghanistan zu einem funktionierenden Staat zu machen. Da man die Welt als Schlachtfeld betrachtete, meinte man, Besseres zu tun zu haben. Im „Krieg gegen den Terror“, so fand man, waren auch solche Mittel recht, die mit den Gesetzen der USA nicht vereinbar sind.
Bushs „Neocons“ sahen nun zu, alle Personen und Institutionen außen vor zu lassen, die als Korrektiv der Regierungspolitik wirken: Zuallererst den Kongress, dann aber auch den „Justitiar des Außenministeriums und andere Anwälte des Militärs und des Justizministeriums“. Zwei hochrangige Militärs im Pentagon, die Kriegserfahrung hatten – Colin Powell und James Wilkerson – , wurden, so Scahill, ins Außenministerium abgeschoben: Von nun an hätten in Rumsfelds Pentagon die Schreibtischtäter das Sagen gehabt.
Der Ruf der CIA ist schlecht genug. Aber nach dem 11. September passten ihre Erkenntnisse, denen zufolge Saddam Hussein nicht mit al-Qaida zusammenarbeitete und keine Massenvernichtungswaffen besaß, der Regierung nicht in den Kram. Cheney drängelte so lange, bis die CIA endlich begriffen hatte, welche Art Bericht von ihr erwartet wurde.
Das war indes noch nicht ausreichend. Die CIA muss sich gegenüber dem Außenministerium und dem Kongress verantworten. Rumsfeld habe aber militärische Operationen an ordentlicher Kontrolle vorbei ausführen lassen wollen, schreibt Scahill. Zu diesem Zweck wurde das „Joint Special Operations Command“, kurz JSOC, herangezogen. Die offizielle Beschreibung seiner Aufgaben klingt bürokratisch-unverständlich. „In Wahrheit“, so Scahill, sei es „die am stärksten abgeschottete geheime Einsatztruppe des amerikanischen Sicherheitsapparats“.
Die Soldaten des JSOC kamen nun immer öfter zum Einsatz. So führten sie in Afghanistan Operationen aus, von denen nicht einmal die regulären US-Truppenleiter Kenntnis hatten (und die Bundeswehr schon gar nicht). Solche Einsätze beschreibt Scahill: Es waren Mordkommandos, die oftmals völlig Unschuldige trafen.
Als 2003 die Folterungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib wenigstens zu Teilen bekannt wurden, behauptete die US-Regierung, es handele sich um Übergriffe Einzelner. Tatsächlich, schreibt Scahill, hätten die Leiter von Abu Ghraib sich „am Beispiel von Camp Nama, Guantanamo und Bagram in Afghanistan orientiert“ – alles Orte, wo das JSOC tätig war, alles Orte, wo systematisch gefoltert wurde. Im irakischen Camp Nama sei die Devise plakatiert gewesen, „wo kein Blut, da kein Vergehen“. Absichtlich herbeigeführte Knochenbrüche seien also genehmigt gewesen.
Schätzungen von 2004 zufolge sollen 70 bis 90 Prozent aller Verhafteten im Irak irrtümlich eingesperrt worden sein. Für viele dieser Gefangenen war nach ihrer Freilassung tatsächlich nichts mehr wie zuvor. Gebrochene Menschen können nicht mehr leben, aber sie können hassen.
Und der Irak ist nicht das einzige Land, wo die USA sich ihre Feinde, die Terroristen, selbst heranzüchteten. In Jemen gaben sie dem mittlerweile entmachteten Präsidenten Salih viel Geld dafür, dass sie Terroristen mit Drohnen töten durften. Salih, der als gerissen gilt, ließ deshalb Leute, die sich al-Qaida nannten, in seinem Land hochkommen: Das Geld der USA konnte er gut brauchen.
In Somalia, schreibt Scahill, habe es früher nur „eine Handvoll“ radikaler Islamisten gegeben. Erst als die USA ihren „Krieg gegen den Terror“ auch auf Somalia ausweiteten, habe der Terrorismus dort Raum gefunden. Die USA entfesselten einen Stellvertreterkrieg: Äthiopische Truppen marschierten 2006 in Somalia ein.
Barack Obama wurde auch deshalb gewählt, weil die Amerikaner des Kriegführens überdrüssig waren. Sein Wahlversprechen, das Gefängnis von Guantanamo zu schließen, scheiterte am Kongress, der das nötige Geld für die Überstellung der Gefangenen nicht bewilligte. Die Republikaner schalten Obama als „naiven Pazifisten“ (Scahill). Obamas Lösung: Weil seine Wähler keine Kriege mehr wollen, scheut er sie. Weil er aber als starker Präsident dastehen will, hat er das geheime Antiterror-Programm der Regierung Bush fast vollständig übernommen und ausgeweitet. Den „Krieg gegen den Terror“ nannte er „Krieg gegen al-Qaida und ihre Verbündeten“.
Als moralischer Mensch will Obama, anders als Bush junior, die Einsätze von mordenden Drohnen selbst verantworten. Scahill schreibt, dass die Treffen, bei denen Obama über Tod und Leben entscheidet, stets am Dienstag stattfänden. Wer da getötet werden soll, weiß der Präsident oft nicht: Die USA sind dazu übergegangen, sogenannte „signature strikes“ auszuüben, bei denen die Identität des Opfers keine Rolle spielt. Es genüge, so Scahill, dass es sich um „Männer im Militärdienstalter“ handele, „die in einer bestimmten Region großen Versammlungen beiwohnten oder Kontakte mit anderen mutmaßlichen Militanten hätten“.
Der Kampf gegen den Terror macht es möglich: Auch unter Obama ist die ganze Welt ein Schlachtfeld. Scahill beschließt sein erschütterndes Buch mit den Worten: „Es bleibt die quälende Frage, die sich alle Amerikaner stellen müssen: Wie soll ein solcher Krieg jemals enden?“
Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Maria Zybak u.a. Kunstmann Verlag, 2013. 600 Seiten, 29,95 Euro.