Romantische Enthusiasten: Alle Welt liebt Jane Austen. Bei ihr sind die Krisen lauschig und ganz und gar unpolitisch.
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Dass es England gelungen ist, den Niedergang seiner Größe glimpflich zu überstehen, ist nicht zuletzt Jane Austen zu danken. Vielen Zeitgenossen kaum merklich, schmolz das englische Überlegenheitsgefühl auf den bescheidenen Patriotismus zusammen, der dann als eigentlicher, historisch überlieferter Kern des englischen Selbstgefühls gepriesen wurde: die selbstgenügsame Fiktion, dass alle Engländer wie eine große Familie seien, für die eine gute Tasse Tee und ein animiertes Gespräch über das Wetter, beides im eigenen Garten genossen, Glückes genug sind.
Wie kein anderer Autor hat Jane Austen ihren Lesern das aufgeklärte Spießertum, das sich weder für die Weltpolitik noch für soziale Ungerechtigkeiten interessiert, sympathisch gemacht. Sie hat es vermocht, Feuer und Wasser zusammenzubringen, und ihre schmachtenden Heroinen mit kritischem Witz versehen. Die Männer, denen Austens Heldinnen sich am Ende in der Ehe unterordnen dürfen, sind es allemal wert. Es ist unter keines Lesers Würde, sich in Austens Liebesschnulzen zu verlieren – wie auch die klügsten Köpfe sich nichts vergeben, wenn sie P. G. Wodehouses windbeutelige Geschichten vom charmant-unbedarften Bertie Wooster und seinem souveränen Butler köstlich finden, oder wie kein Bewunderer Evelyn Waughs sich auch nur eine Sekunde lang daran stört, dass dessen Bücher davon zeugen, wie illiberal, ja reaktionär der Autor war.
Derzeit genießt Jane Austen einen Bonus, der anderen komischen Autoren nicht zugute kommt: Ihre Romane passen zum Zeitgeist. Und der gibt sich seit einigen Jahren mit Politik und Abenteuer nicht mehr gern ab. Nein, er ist mit der Suche nach dem kleinen, schnuckeligen, privaten Glück beschäftigt. Und das bedeutet, dass viele Schriftsteller und Filmemacher diesseits und jenseits des Kanals sich einem altehrwürdigen Stoff widmen, der zuletzt in den fünfziger Jahren mit vergleichbarer Ausdauer traktiert wurde: Boy meets girl, sie verlieben sich ineinander – oder eben auch nicht, je nachdem, wie dem Autor zumute ist.
Die Gründe für diese Tendenz, die nur unverbesserlich politisch denkende Leute wie Günter Grass beklagen, muss man in einem Potpourri von Befindlichkeiten suchen: sei es, dass vielen jungen Autoren, die wenig erlebt haben, nichts anderes einfällt, als ihr eigenes Leben in abgewandelter Form in Szene zu setzen. Sei es, dass Verlage und Filmproduzenten auf Nummer sicher gehen wollen. Sei es, dass das Publikum nach der Euphorie anlässlich der Umbrüche von 1989/1990 und den späteren unvermeidlichen Enttäuschungen mit Politik bis auf Weiteres bedient ist. Sei es gar, dass die Folgen des angewandten Neoliberalismus die sogenannten Konsumenten, die um ihre Rente fürchten, kleinmütig und ängstlich stimmen, sodass jede Form von Eskapismus willkommen ist. Letzteres wird in Jane Austens Romanen übrigens aufgegriffen: Neben der Liebe ist die Sorge um ein gesichertes Auskommen das große Thema ihrer Bücher. Literaturwissenschaftler nennen das Austens „Materialismus“.
1995 präsentierte die BBC eine neue Verfilmung von „Stolz und Vorurteil“, „Pride and Prejudice“, die einen ungeheuren Widerhall hatte. So groß war der Erfolg dieser Serie, dass seither etliche weitere Austen-Adaptationen für Kino und Fernsehen produziert wurden. Auch Austens Leben, das wenig ereignisreich verlief, wurde verfilmt, um allerlei melodramatische Momente angereichert, wie sie sich zwar in ihren Büchern, aber durchaus nicht in ihrer Vita finden. Claire Harman, die sich in der englischsprachigen Welt als Biographin berühmter Schriftsteller einen Namen gemacht hat, kam an Jane Austen nicht mehr vorbei. Unlängst erschien ihre äußerst interessante Editions- und Wirkungsgeschichte von Austens Romanen: „Jane’s Fame. How Jane Austen Conquered the World“ – Janes Ruhm. Wie Jane Austen die Welt eroberte (Canongate, Edinburgh, 342 Seiten, 20 britische Pfund).
Zur Zierde des Mannes
Jane Austen hat jahrelang warten müssen, bis 1811 erstmals ein Buch von ihr publiziert wurde: „Verstand und Gefühl“ („Sense and Sensibility“). Das Buch erschien anonym, was damals nicht ungewöhnlich war. Die Verfasserin hatte zunächst keine Ahnung davon, wie gut „Sense and Sensibility“ in der Londoner Gesellschaft ankam. Walter Scott, der mit ganz anderer Literatur Triumphe feierte, lobte die Autorin in hohen Tönen. Selbst der sittenlose Prinzregent George, dem man so viel Verstand gar nicht zugetraut hätte, las das Buch mit Gewinn. Schnell sprach es sich herum, dass da mehr drinsteckte als sentimentale Unterhaltung für das schwache Geschlecht. Auch Männer genossen die Lektüre: So realistisch-boshaft fand man Frauen sonst nicht geschildert. Überhaupt wurde das Buch für seine lebensechte Darstellung von Charakteren und Unterhaltungen geschätzt.
Jane Austen starb 1817 im Alter von 41 Jahren. Viel Geld hatte sie mit ihren vier zu Lebzeiten publizierten Romanen nicht verdient, was auch am schlechten Geschäftssinn ihres Bruders gelegen haben dürfte, der für sie die Verträge abschloss. Sie musste zufrieden sein, überhaupt gedruckt zu werden. Fast zwanzig Jahre lang hatte sie, die schon als Teenager zu schreiben begann, nur ihre Familie als Publikum gehabt. Claire Harman glaubt, das habe sie überhaupt erst befähigt, den englischen Roman zu „modernisieren“: Solange sie nicht publiziert wurde, hatte sie keinen Anlass, nach dem herrschenden Geschmack zu schielen.
Wie verzerrt das – allmählich korrigierte – Bild von der viktorianischen Epoche als einer Zeit der Verklemmtheit ist, lässt sich auch daran ablesen, dass Jane Austens Stern nie tiefer stand als in der anhebenden zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre Romane galten als unweiblich-sterile Ausgeburten aus dem Kopf einer emotional vertrockneten Jungfer. Die züchtigen Liebesgeschichten, die eloquente Reserviertheit der Figuren, die Rationalität und dramaturgische Ökonomie von Austens Stil sagten den Zeitgenossen wenig, die vom romantischen Enthusiasmus geprägt waren. Anderen Lesern, die gesellschaftskritisch dachten, gingen die konventionelle Moral und die ländlich-behäbige, industrieferne Idylle, in der die Jagden auf Ehemänner anberaumt sind, auf die Nerven. Mark Twain fand Austen unerträglich: „Jedes Mal, wenn ich in ,Pride and Prejudice‘ lese“, schrieb er, „möchte ich sie ausbuddeln und ihr mit ihrem eigenen Schienbein eins über den Schädel geben.“
Als Twain das schrieb, war Jane Austen schon berühmt. Das war zunächst nicht ihren Büchern zuzuschreiben, sondern ihrer Vita: Als sie endlich so lange tot war, dass man – ohne Verletzung der Gefühle Lebender – in ihrem Privatleben stochern konnte, wurden ein paar Briefe veröffentlicht und eine Biographie verfasst. Das Publikum wunderte sich, wie eine Pfarrerstochter ohne Kontakte, deren Kenntnisse der großen weiten Welt sich auf Bath und London beschränkten, Schriftstellerin hatte werden können. Die Mär von der unambitionierten Autorin, die vor lauter Bescheidenheit nur kleine Zettelchen zum Schreiben benutzte und ihre hausfraulichen Pflichten über alles andere stellte, rührte die Herzen. Berühmte Literaten „entdeckten“ Jane Austen für sich; Bildungsbürger waren gehalten, sich zu entscheiden: Waren sie für Austen oder gegen sie? 1894 erschien eine mit vielen (schlechten) Zeichnungen versehene Volksausgabe von „Pride and Prejudice“, die sich außerordentlich gut verkaufte. Der aufkommende Feminismus tat ein Übriges: Den Lordsiegelbewahrern der Kultur gingen die „Blaustrümpfe“ viel zu weit. Von nun an träumte man nicht nur von Austens landschaftlichen Idyllen, sondern auch von intelligenten Frauenzimmern, die ihren Esprit vornehmlich dazu nutzten, ihren Ehemännern zur Zierde zu gereichen.
Unter die Haube bringen
Während des Ersten Weltkriegs, fast genau hundert Jahre nach Jane Austens Ableben, wurden ihre Romane offiziell als Remedium für Soldaten eingesetzt, die unter Frontneurose litten. Vor allen anderen Büchern figurierten sie auf einer Liste, die den britischen Militärhospitälern therapeutische Lektüre für die Verwundeten empfahl. So wenig die napoleonischen Kriege in Austens Romanen vorkommen, obgleich diese Kriege tobten, während Austen schrieb, so effizient sollten ihre Romane nun Materialschlachten, Giftgasangriffe und Grabenkampf vergessen machen. Die friedlich-ereignisarme Lauschigkeit der ländlichen Gegenden, in denen Austens Geschichten spielen, spiegelte nicht nur, was den Soldaten erzählt wurde, wofür sie kämpften, sie schien zudem geeignet, die zerschmetterte Moral zu beleben und mit ihr die physische Gesundheit.
Im Zweiten Weltkrieg fand Jane Austen wieder Verwendung, diesmal an der Heimatfront. Einigen patriotischen britischen Filmschaffenden in Hollywood, die nach Haus zurückkehren wollten, empfahl der britische Botschafter Lord Lothian: „Die Fortdauer der Produktion von Filmen mit starkem britischen Akzent ist eine der besten und subtilsten Formen der Propaganda.“ Das Drehbuch der ersten Austen-Verfilmung schrieb Aldous Huxley. Die Vorlage war „Pride and Prejudice“ – der beliebteste Roman Jane Austens, dessen neue Verfilmung 1995 der Auftakt zur jüngsten „Austenmanie“ gewesen ist. Längst gibt es von dem Buch auch eine Bollywood-Variante: Sie heißt „Bride and Prejudice“ und greift die auch in Indien virulente Existenzfrage auf, wie man Mädchen vorteilhaft unter die Haube bringt.
Jane Austen ist weltweit beliebt. Claire Harman erklärt das mit einem Kunstgriff, den die Autorin nur der Not halber anwandte: Als ihre Romane endlich Verleger fanden, mussten sie aller historischen und modischen Details entkleidet werden, die verrieten, dass die Manuskripte schon einige Jahre alt waren. Bei diesen Überarbeitungen hat Jane Austen ihre Romane weitgehend zeitlos gemacht. Harman zufolge sind sie alle im anhebenden 19. Jahrhundert angesiedelt, letztlich aber in einem eher vagen Nirgendwann. Genau diese Zeitlosigkeit erlaubt es heute, dass Leser aller Kontinente sich in den Geschichten wiederfinden.