Wie „Globalisierung“ wirkt – wie „Krieg gegen den Terror“ tötet.
VON FRANZISKA AUGSTEIN
„Jeder weiß, dass es viel schwieriger ist, Worte in Taten zu verwandeln, denn Taten in Worte“, schrieb Maxim Gorki, als er über die Zukunft der Sowjetunion nachdachte. So war das, und Gorkis Satz gilt immer dann, wenn die Worte einigermaßen klar ausfallen. Wenn es sich hingegen um vage Worte handelt, die mehr ahnend als beschreibend sind, dann sieht die Sache anders aus: Da wird ein zunächst ebenso viel- wie nichtssagender Ausdruck unversehens zu einer Stange, mit der das Hergebrachte aufgestemmt, wenn nicht gleich gar zerschlagen wird.
Anhand von zwei Begriffen lässt sich das zeigen. Beide sind künstlich, beide dienen als Katalysatoren der Entwicklung, für die sie geprägt wurden, der eine auf wirtschaftspolitischem, der andere auf politischem Gebiet: „Globalisierung“ lautet der eine, „Krieg gegen den Terror“ der andere.
Das Wort „Globalisierung“ tauchte ab und an schon in den achtziger Jahren auf. Seit Beginn der neunziger Jahre ist es allgegenwärtig, inzwischen hat es sogar den Charakter eines Arguments: Der Ausdruck selbst dient als der Beweis für die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden.
Der SPD-Abgeordnete Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Leiter einer Enquetekommission, die sich mit den Ursprüngen des Begriffs beschäftigte und in diesen Tagen ihre Ergebnisse publiziert. Seit 1993, erklärt von Weizsäcker, sei der Begriff allgegenwärtig. Das hat drei Ursachen:Der Eiserne Vorhang stellte eine Barriere dar, die unpassierbar war wie einst die höchsten Berge und die größten Ozeane. Menschen, Waren und Ideen taten sich außerordentlich schwer bei Reisen zwischen Ost und West. Zu der neuen Freizügigkeit nach 1989 kam dann die Internet-Revolution. Wenn von Weizsäcker dazu aufgelegt ist, nennt er noch einen dritten Grund: Ronald Reagan und Margaret Thatcher hätten ihrem Leumund gemäß regiert und die wirtschaftliche Liberalisierung vorangetrieben. Zu einem „vorläufigen Höhepunkt“ sei dieser Prozess in der 1986 gestarteten Uruguay-Runde des GATT gekommen, die ihre „hektischste Phase zwischen 1990 und 1993“ erlebte.
Aufwertung der Terroristen
Heute wirkt der Ausdruck so gut wie ein Argument: Wer das „rheinische“ Kapitalismusmodell abschaffen möchte, wem die Steuern zu hoch und die Arbeiter zu wohlstandsorientiert sind, der beruft sich auf die Globalisierung, die dergleichen nicht mehr erlaube. Wer Entwicklungshilfe einsparen will, der verweist auf die Globalisierung, die ganz von selbst das Wohl aller Menschen sorge. Als Bill Clinton noch im Amt war, tat er so, als werde die Dritte Welt am Internet und an der Globalisierung genesen: Indiens werdende Mütter könnten sich am „Internetanschluss ihres Dorfes“ über Babypflege informieren, schwärmte der US-Präsident auf Besuch in Berlin im Jahr 2000. Fragt sich, wie die indischen Mütter das wohl machen wollen, wo doch „das Internet auf Dauer keine Gratis-Veranstaltung“ sein dürfe, wie nicht nur die FAZ feststellt.
Auch mit der Liberalisierung des Handels und der Mobilität, die zur Globalisierung gehören, ist das so eine Sache: Solange die Agrargüter des Westens auf Kosten der ärmeren Länder subventioniert werden, kann von wirtschaftlicher Globalisierung nicht wirklich die Rede sein. Mit der Globalisierung der Arbeitsplatzwahl ist es auch nicht weit her. Soll heißen: Es gibt die Globalisierung vor allem begrifflich. Aber weil der Begriff so erfolgreich ist, schafft er Wirklichkeit, weil mit seiner Hilfe Wirtschaftspolitik gemacht wird. So hat Maxim Gorki sich das nicht vorgestellt, als er von den Worten sprach, die so selten Taten werden.
Auch Goethe äußerte sich über Wörter. Sein Spruch von den fehlenden Begriffen und den Wörtern, die sich stattdessen „zur rechten Zeit“ einstellen, gewinnt in der englischen Übersetzung einen anderen Ton, der den Monolog in Fausts Studierzimmer in die Nähe einer Dinner-Party oder Unterhausdebatte rückt: Denn wo Begriffe fehlen, besagt der rückübersetzte Goethe, „da rettet ein Wort die Situation“. Wie wahr das nun wieder ist, hat sich nach dem 11. September gezeigt. Da war der Schock groß, das Bedürfnis nach Vergeltung nicht minder, und anstatt eine internationale Polizeiaktion (mit militärischen Mitteln) anzuführen, haben die Vereinigten Staaten einen Krieg erklärt. Der läuft seit einem halben Jahr: „Der Krieg gegen den Terror“. Er war nicht notwendig, strategisch sogar gefährlich, wie der Militärhistoriker Michael Howard erklärt: Die Medien warten auf Siege, die Regierung hat sich zum Sieg verpflichtet. Doch zum Sieg gegen wen oder was? Der Terror als Feind hat keine Hände, die man fesseln, er hat keine Köpfe, die man abschlagen kann. Er kann nur in seinen Repräsentanten bekämpft werden. Und eben deshalb hat der „Krieg gegen den Terror“ für die Vereinigten Staaten die Situation gerettet: In seinem Namen ist alles möglich, aber es muss nicht alles, was möglich ist, auch ausgeführt werden.
Der Ausdruck „Krieg gegen den Terror“ schafft zudem einen rechtsfreien Raum: Völkerrechtler und Militärhistoriker sind überrumpelt. So hat Michael Howard im vergangenen Herbst eingewandt, die Kriegserklärung gegen den Terror werte alle betroffenen Terroristen unnötig auf. Howard konnte damals noch nicht wissen, dass die Bush-Regierung diese Angelegenheiten nicht nach Maßgabe historischer Präzedenzen und völkerrechtlicher Lehrsätze behandeln würde.
Der „Krieg gegen den Terror“ hatte ein Vorbild – das war der „Krieg gegen Drogen“, den die USA mit mäßigem Erfolg in den achtziger Jahren führten. Ob Drogen oder Terror: Letztlich zielen diese Kriege gegen das von US- Präsidenten gern zitierte „Böse“. Und nachdem das Böse fünfzig Jahre lang mit dem Kommunismus eins war, der wiederum mit Totalitarismus gleichgesetzt wurde, brachte Präsident Bush den Syllogismus zu Ende: „Das Böse, das sich gegen uns aufgebaut hat“, erklärte er zuletzt auf Besuch in Berlin, „wird die neue totalitäre Bedrohung genannt.“
Wer das Böse so nennt, erläuterte Bush nicht. Ein Stichwortgeber könnte Joschka Fischer sein, der am 29. September der taz ein Interview gab, in dem er die Anschläge eine „totalitäre Herausforderung“ nannte. Und in den Vereinigten Staaten gibt es einige, darunter etwa den mehr regsamen als erfolgreichen Publizisten Richard Pipes, die Terror als totalitär bezeichnen. Die Alliteration erinnert an die guten alten Zeiten, als es außer Frage stand, wo der Feind wohnte und wer er war.
Heute sind die Regime des „Bösen“ ins Kraut geschossen: Die USA haben eine Liste herausgegeben, die länger ist als jeder Zorn: Iran, <<Irak>>, Sudan, Syrien, Libyen, Kuba, Nordkorea. Diese Staaten gelten als „Sponsoren des Terrorismus“. (Merke, dass Kuba erst dazuzählt, seitdem Ex-Präsident Jimmy Carter dort einen gelungenen Auftritt hatte.) Alle diese Länder fallen unter die amerikanische Definition für Übeltäter: Es sollen Länder sein, die „den Terror begünstigen“. Wie Bush jetzt erklärte, wird aber selbst Saddam Hussein zunächst ungeschoren davonkommen. Erst im Jahr 2003, so stand in der New York Times zu lesen, würden 250000 Mann gegen Bagdad ziehen (oder auch nicht).
Derweil hat der Rest der Welt sich längst auf das Angebot eingestellt, das die hilfreich-inhaltsleere Floskel vom „Krieg gegen den Terror“ macht. So bekämpft Ariel Scharon in Israel selbstverständlich bloß den Terror. Das gleiche gilt auch für Wladimir Putin, dem Bush einige für die US-Interessen wohlfeile Zugeständnisse macht. In seiner Berliner Rede hat der amerikanische Präsident Russland eigens gelobt – es „unterstützt den Krieg gegen den globalen Terror auf entscheidende Weise“. Der russische Präsident sieht das auch so: Schon vor geraumer Zeit erklärte Putin, er nehme in der Antiterrorkoalition „eine aktive Haltung“ ein. Dafür erwarte er „die Unterstützung der Weltgemeinschaft“ in dem Kampf, den Russland gegen den Terror führe, insbesondere die „Fortsetzung des Kampfes gegen den Terrorismus in Tschetschenien“. Bush gewährt Putin dies außenpolitische Ablenkungsmanöver. Denn Bush will den Terrorismus ausrotten. Das Beunruhigende an der amerikanischen Politik sind ihre Glaubenssätze. Der Dalai-Lama, ein Mann des Glaubens, ist da realistischer. Der Dalai-Lama sagte neulich: So lange es Menschen auf dem Erdball gebe, werde es auch Terroristen geben.