IWF = Ich will Fairness

Der Internationale Währungsfonds hat sich geändert. Während er einst klamme Staaten mit seinen neoliberalen Vorgaben noch weiter in den Ruin trieb, hat er heute einen Sinn für die Zustände in den Ländern, die um Geld bitten. Die Institution IWF hat sich fundamental gewandelt. Man folgt den Lehren von Keynes.

VON FRANZISKA AUGSTEIN

Mitleidig verfolgten die Freunde großer Institutionen die Sinnkrise der Nato nach dem Krieg gegen Serbien und seinen damaligen Präsidenten Slobodan Milošević. Nachdem Milošević 1999 abgesetzt war, wurde die Nato allenthalben kritisiert: Für völkerrechtswidrige Kriege sei die Nato nicht gegründet worden. Einige ihrer militärischen Fürsprecher reagierten damals muffig: Da müsse man sich wohl fragen, wofür die Nato überhaupt noch gut sei. Nach den Attacken vom 11. September 2001 war dann aber alles wieder im Lot. Die anschließenden militärischen Einsätze in Afghanistan zeitigten in dem Land zwar üble bis keine Ergebnisse, waren aber im Hinblick auf den Bestand der Nato ein voller Erfolg.

Ziemlich ähnlich erging es dem Weltwährungsfonds (IWF). Ursprünglich war er dafür eingerichtet worden, das 1945 im amerikanischen Bretton Woods vereinbarte System der festen Wechselkurse zu stabilisieren, falls ein Mitgliedstaat kurzfristige Zahlungsbilanzprobleme hat. Die US-Regierung kündigte diesen Vertrag 1971. Seither mussten die IWF-Leute mit dem Geld der 188 Staaten, die heute Beiträge zahlen, irgendetwas machen. Also verlegte man sich darauf, Staaten in der Krise zu helfen. Dabei wurde vorausgesetzt, dass die betreffenden Länder sich nach den Maßgaben der neoliberalen Wirtschaftsphilosophie reformierten, die darauf aus ist, die Inflation zu bekämpfen. Das hieß: an Sozialausgaben sparen, Staatsbetriebe privatisieren, den Kapitalmarkt öffnen, die Märkte für fremde Güter öffnen.

Im Britischen Empire hatten die Ärzte um 1800 zwei verschiedene Herangehensweisen an Krankheiten. Die einen empfahlen zur Kur jeglichen schweren Leidens Rebhuhn und Portwein oder einen Aufenthalt an der See; die anderen empfahlen tägliche Aderlässe, Quecksilber und die „Trepanation“: das Aufschneiden des Schädels, wobei in die Wunde nach dem Schnitt Erbsen gelegt wurden, damit die Wunde nicht heile und das schädliche Fluidum des Körpers austreten könne.

Ende der 90er Jahre, während der sogenannten Asienkrise, die einstige „Tigerstaaten“ an den Abgrund brachte, griff der IWF zur zweiten, oben geschilderten Variante, also zur Trepanation als Radikalkur. Da flossen die Fluida dann wirklich ab, angefangen mit Kapitalflucht und Steuerflucht. Die Zuständigen in einigen betroffenen asiatischen Staaten fanden: Die Kur des IWF habe ihren Ländern nichts gebracht, außer noch größerer Arbeitslosigkeit, wachsender Armut und dem Ausverkauf ihres Tafelsilbers. Einige verabschiedeten sich aus dem Programm. In der Folge legten diese Länder große Devisenreserven an, um sich gegen Schwankungen auf den Finanzmärkten zu schützen.

In Argentinien geschah das gleiche: Das Land hatte sich in den 90er Jahren brav an die Vorgaben des IWF gehalten. Die Einfuhrzölle wurden minimiert; Unternehmensgewinne wurden niedriger besteuert als in den USA; die Mehrwertsteuer wurde massiv erhöht; das Land gab Anleihen zu sagenhaft hohen Renditen aus. Es half alles nichts: Von den Auflagen des IWF profitierten nur die auswärtigen Anleger, die sagenhafte Zinsen auf argentinische Staatsanleihen erhielten. Argentiniens damaliger Präsident Néstor Kirchner hat die Zahlungen dann einfach eingestellt. Das war vernünftig und führte dazu, dass Kirchner 2003 nicht in die Schweiz reiste, weil er gewärtigen musste, sein Flugzeug werde von den Gläubigern gepfändet.

In der Folge befand der IWF sich in einer Sinnkrise: Dominiert von den USA, als Belastung empfunden von allen Schuldnerstaaten. Und dann passierte etwas Ungewöhnliches. Der IWF reformierte sich. In dieser bedeutenden Institution kam man auf die Idee, dass nicht bloß Amerikaner und Europäer im Vorstand sitzen sollten. Noch besser: Es spielte sich ab wie in einem spannenden Westernfilm, wo die Männer den besoffenen Sheriff aus der Tränke ziehen, weil es etwas für ihn zu tun gibt. Erst wurde der deutsch-dröge Horst Köhler zum Chef des IWF ernannt, dann der illustre Dominique Strauss-Kahn, dann Christine Lagarde. Köhler hatte ein Herz für arme Länder; der französische Sozialist Strauss-Kahn bemühte sich, das Gefüge des IWF umzuwandeln. Christine Lagarde hat das vollendet. Unterstützt wurden sie dabei von ihren Helfern, die bedeutend waren, etwa Reza Moghadam, um nur einen Namen zu nennen.

Und seither hat sich der IWF gewandelt, hat dazugelernt. Der langjährige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble wunderte sich. Er ging davon aus, dass mies wirtschaftende Staaten wie Griechenland nicht von nordeuropäischen Staaten aus der Bredouille geholt werden sollen, oder wenn, dann nur ein bisschen. Der IWF sagt nun aber seit Jahren: Für die Schulden Griechenlands brauche es einen Schuldenschnitt. Dieser ist nötig, denn auch wenn Schulden auf Jahrzehnte gestundet werden, muss ein Staat diese Schulden einkalkulieren. Vernünftiger wäre also: Lasst die Griechen von vorn anfangen.

Der IWF hat eine Studie veröffentlicht, derzufolge wachsende Ungleichheit dem ökonomischen Wachstum abträglich ist. Da hat sich nicht bloß Schäuble, da haben Kapitalisten in aller Welt sich gewundert. Der IWF vertritt heute keynesianische Einsichten: Wenn es einem Land schlecht geht, dann darf der Staat nicht sparen, dann muss vielmehr Geld ausgegeben werden, damit die Wirtschaft in Gang kommt. Wenn ein Land nicht wettbewerbsfähig ist, dann darf es Protektionismus anwenden, darf Zölle erheben und so dafür sorgen, dass die heimische Wirtschaft nicht untergeht. Dies erklärt eine Institution, die vor zwanzig Jahren neoliberal arbeitete. Man steht da und wundert sich. Alexander Lehmann, der bis 2004 für den IWF gearbeitet hat, sagt lapidar: Der IWF habe „ständig dazugelernt“.


Aus: Süddeutsche Zeitung (Deutschland) vom 06.02.2018 – Seite 18
Dieser Text stammt aus „Augsteins Welt“ – einer vierzehntägigen Kolumne in der Süddeutschen Zeitung.