Der Internationale Währungsfonds hat seit einigen Jahren eine neue Politik: Die EU soll Griechenland Schulden erlassen. Die Idee mag gut sein. Der IWF will dazu aber kein Geld beitragen. Das macht ihn ein wenig unglaubwürdig.
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Der Nikolaus in seinen diversen Erscheinungsformen hat nicht nur im Dezember, sondern auch im Sommer seinen Auftritt. Er ist ein Mann für jede Jahreszeit. Wer sowohl die Rute als auch einen Gabensack dabeihat, wird immer gebraucht. Das Schöne für den Nikolaus ist, dass er seinen Sack nicht aus eigenen Mitteln füllen muss. Das besorgt die Familie, die er besucht.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) kommt seit einigen Jahren daher wie der Nikolaus: Griechenland könne seine Schulden niemals abzahlen, sagt der IWF. Deshalb müsse ein großer Teil des geschuldeten Geldes dem Land erlassen werden. Aber nicht der von den USA dominierte IWF will dafür aufkommen, sondern die Familie soll dafür einstehen, in diesem Fall also die Europäische Union. Der frühere deutsche Finanzminister Theo Waigel (CSU) findet es „nicht ganz fair“, was der IWF da macht.
Noch in den 90er-Jahren kam der IWF nicht als freundlicher Nikolaus, sondern als Knecht Ruprecht mit der Rute. Asiatische „Tigerstaaten“, wie sie damals wegen ihrer rasant wachsenden Wirtschaft genannt wurden, waren in Notlage gekommen. Spekulanten hatten gegen die Währungen von Thailand und Indonesien gewettet, was sich verheerend auf die betroffenen Volkswirtschaften auswirkte. Die Länder wandten sich an den IWF. Der verlieh sein schönes Geld aber nur gegen harte Auflagen: Privatisierungen, Einsparungen bei den Staatsausgaben, rigide Fiskalpolitik, unbeschränkter Kapitalverkehr – das ganze Paket der Austerität wurde oktroyiert. Wer dem zugeschaut hat, und sei es aus der Ferne, war entgeistert: Viele Indonesier und Thailänder wussten nicht mehr, wovon sie leben sollten. Jene, die noch in Lohn und Brot waren, haben davon ihre Verwandtschaft ernährt. Das Gleiche spielt sich seit der Finanzkrise 2008 in Griechenland ab. Mithilfe ihrer Familie (wenn sie eine haben), mittels Suppenküchen und Spenden, dank Ärzten, die ihre Patienten unentgeltlich versorgen, kommen Kinder, Alte und Arbeitslose über die Runden.
In Griechenland ist es aber nicht der IWF, der das Sparregiment verordnet, sondern die EU, angeführt von der Bundesrepublik Deutschland. Linke und auch Konservative berufen sich derzeit auf den IWF, wenn sie sagen: Gebt den Griechen Luft zum Leben und Atmen. Der IWF ist der Auffassung, die Kombination von oktroyierter Austerität und sehr geringem Wachstum halte das Land in einem „Teufelskreis“ gefangen. Für unmöglich hält der IWF es, dass Griechenland in den nächsten Jahren einen Überschuss aufs Bruttoinlandsprodukt von 3,5 Prozent erwirtschaften kann, wie es geplant ist. Schon die Information, dass seit Beginn der Krise die Hälfte aller griechischen Bankeinlagen ins Ausland verschoben wurde, gibt dem IWF recht. Aber was ist da geschehen, warum gibt der IWF sich auf einmal so menschenfreundlich (allerdings: ohne zahlen zu wollen)?
Als die Finanzkrise hereinbrach, stand die Zukunft des Euro, ja stand die Zukunft der EU in Gefahr. Zu den Leuten, die das von manchen befürchtete Zusammenkrachen des großartigen Projektes „Europäische Union“ verhindert haben, gehört der Deutsche Klaus Regling. Seit 2010 leitet er die zwei Varianten des Euro-Rettungsschirms, die erste war vorläufig, die zweite wurde permanent als „Europäischer Stabilitätsmechanismus“ eingerichtet.
Bevor Regling im deutschen Finanzministerium tätig war, womit er sich für die Leitung des Europäischen Stabilitätsmechanismus empfahl, war er jahrelang beim IWF. Was von dort heute zu hören ist, findet indes seine Billigung nicht. Er hält es für falsch, dass der IWF fordert, Griechenland Schulden zu erlassen. Die wirtschaftlichen Daten des Landes hätten sich deutlich verbessert, meint er. Ende Juni hat er im Walter-Eucken-Institut in Freiburg einen eindrucksvollen Vortrag gehalten, in dem er preisgab, wie weit ökonomisches Fachwissen und der Lebensalltag voneinander entfernt sind. „Insbesondere in Deutschland“, schrieb er, „muss ich immer wieder hören und lesen, in Griechenland sei in den vergangenen sieben Programmjahren nichts passiert. Ich halte das für eine inakzeptable Verdrehung von Tatsachen und eine Beleidigung der Griechen, die bei Löhnen, Gehältern und Pensionen Einschnitte hingenommen haben, die in Deutschland unvorstellbar wären.“
Das ist das eine, und es war gut, dass Regling es gesagt hat. Das andere aber ist: Vom Wirken des Programms hat die Bevölkerung noch nicht viel mitbekommen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Produktion liegt am Boden. Leute mit guter Ausbildung gehen ins Ausland, um dort eine Anstellung zu finden, irgendeine. Das Problem der Ordnungspolitik, wie Klaus Regling sie vertritt, besteht darin, dass sie, wenn alles gutgeht, erst nach zehn Jahren Wirkung zeigt. Bis dahin ist das Leben sehr vieler Menschen mehr als mühsam.
Der IWF vertritt seit einiger Zeit eine neo-keynesianische Politik. Kenner sind der Meinung, das habe angefangen mit Dominique Strauss-Kahn, dem früheren Star der französischen Sozialisten, dem Chef des IWF, der in einem amerikanischen Hotel, nur mit einem Bademantel bekleidet, über seine Libido gestolpert und seither von der Bühne verschwunden ist. War es er allein, der den IWF umkrempelte? Das ist unwahrscheinlich. Vom IWF heißt es, dass er mit der Mode gehe, nicht mit der Bademantelmode, sondern mit der in der Wirtschaft. Und da ist derzeit der Neo-Keynesianismus angesagt. Dies einfach deshalb, weil der Jahrzehnte herrschende Neoliberalismus nicht die erwünschten Erfolge gebracht hat. Das könnte ein interessanter Nebeneffekt der Globalisierung sein: Je mehr die Welt zusammenwächst, desto größer wird die Not, solidarisch zueinanderzustehen.