Dem Historiker Dan Diner zum 70. Geburtstag
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Viele Menschen, die in zwei Ländern zu Hause sind, wandeln sich, für andere sichtbar, mit dem Wechsel von hier nach dort. Der Historiker Dan Diner pendelt seit vielen Jahren zwischen Israel und Deutschland. Früher lehrte er in Tel Aviv, derzeit hat er eine Professur in Jerusalem inne. In Leipzig hat er von 1999 bis 2015 das Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur geleitet. Wer ihn in beiden Ländern trifft, findet ihn in Deutschland mitunter „ein bisschen ernst“.
Küchenpsychologisch betrachtet, ist das erklärlich: Dan Diners jüdische Eltern überlebten die Schoah im fernen Osten der Sowjetunion. Nach Kriegsende kamen sie nach Polen. Antisemitische Ausschreitungen 1946 drängten sie zur Flucht. Sie zogen ins Land der Täter. Ihr Sohn Dan kam in einem Münchner Lager für „Displaced Persons“ zur Welt. In München hielt es die Eltern nicht: Seine Kleinkinderjahre verbrachte Dan Diner in Israel, bis die Familie sich 1954 endgültig in der Bundesrepublik niederließ. Nur allzu verständlich wäre es, sollte Dan Diner Deutschland nie ganz als verlässliche Heimat angesehen haben.
Die politisierten Siebzigerjahre lebte er vor allem in Israel aus. Von seiner Begeisterung für den revolutionären Marxismus und das radikal-linke Denken israelischer Freunde hat Diner sich geläuterte Anhänglichkeit an den analytischen Ansatz des Marxismus bewahrt. Weil er kulturelle Kodierungen als Platzhalter für etwas anderes zu sehen gewohnt ist, bedauert er es bis heute, dass die irakische Kommunistische Partei zerschlagen wurde. Im Gespräch mit der SZ sagte er einmal: „Kommunismus bedeutete im Nahen Osten im Prinzip nichts anderes als Säkularisierung.“ Letztere hält er für historisch notwendig. In seinem Buch „Versiegelte Zeit“ (2005) argumentierte er, dass die arabische Welt zu ihrem Schaden nach wie vor „unter der Kuratel des Sakralen“ stehe.
Diners Interesse hat von Anfang an beidem gegolten: der israelischen beziehungsweise nahöstlichen und der deutschen Geschichte. Er, der die deutsche Vergangenheit auch aus der Ferne anschaut, belebte die historische Forschung in den Achtzigerjahren mit markanten Einwürfen. In seiner Edition „Ist der Nationalsozialismus Geschichte?“ (1988) zeigte er „Grenzen der Historisierbarkeit des Nationalsozialismus“. Auch brachte er das Wort vom Holocaust als „Zivilisationsbruch“ auf – womit, dies nur nebenbei, der zynische Begriff „Betriebsunfall“ vom Tisch war.
In den Neunzigerjahren begann eine neue Phase in Dan Diners akademischem Leben: Als Leiter des Simon-Dubnow-Instituts wurde er zum umsichtigen Wissenschaftsmanager, was viele überraschte, die ihn als thesenstarken Begriffstüftler zu kennen meinten. Diner baute ein Institut mit rund vierzig Mitarbeitern auf und setzte durch, dass dort jüdische Geschichte und Kultur erforscht wird. Manch ein Politiker, der die Schoah für wichtiger hielt, war enttäuscht. Den Jüdischen Studien indes erwies Diner damit einen großen Dienst. Der sechste Band der „Enzyklopädie Jüdischer Geschichte und Kultur“, die er herausgibt, wurde 2015 fertiggestellt. Nur der Registerband fehlt noch. „Jeden einzelnen Artikel“, so wird erzählt, habe Diner bearbeitet. Wer weiß, dass er eine Ausbildung als Feinmechaniker machte, bevor er das Abitur nachholte, wird sich über seine Akribie nicht allzu sehr wundern.
Im 20. Jahrhundert hatten Gelehrte schon einmal versucht, eine deutsche Jüdische Enzyklopädie herauszubringen. Ihr Unternehmen wurde von den Nazis beendet. Dass es nun solch eine Enzyklopädie gibt, könnte auch von Berufs wegen skeptische Historiker zu einem abenteuerlichen Gedanken verleiten: Manchmal, sehr selten, übt die Geschichte ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit. Dan Diner hat ihr dabei geholfen. An diesem Freitag feiert er seinen siebzigsten Geburtstag, sei es in Israel, sei es in Deutschland.