Hammer und Sichel sind künftig tabu

Doch Stepan Bandera wird kanonisiert: Ukrainische Geschichtspolitik

VON FRANZISKA AUGSTEIN

Der Film „A Night in Casablanca“ von 1946 scheint die Gesetzgebung in der Ukraine zu inspirieren. Groucho Marx, der darin als Hotelmanager auftritt, ordnet an, alle Zimmernummern auszutauschen. Ein entsetzter Untergebener versucht, der Vernunft Bahn zu brechen: „Denken Sie an das Durcheinander!“, sagt er dem Hotelmanager, worauf Groucho Marx fröhlich antwortet: „Think of the fun“ – welch ein Spaß das werde.

Als ob es für die Ukraine nicht andere Probleme gäbe, hat der Staatspräsident Petro Poroschenko zwei Gesetze unterzeichnet, die so abstrus sind wie die besten Einfälle der Marx Brothers. Zum einen dürfen die Insignien der Sowjetunion sowie führende sowjetische Köpfe nicht mehr „verherrlicht“ werden. Zum anderen macht sich strafbar, wer den Angehörigen der mit Hitler-Deutschland kollaborierenden „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ abspricht, als Helden für ihr Vaterland gekämpft zu haben. Das betrifft im Besonderen Stepan Bandera, eine dubiose Figur. Er soll am 30. Juni 1941 in Lemberg ein Massaker angerichtet haben und kämpfte als Partisan auf Seiten der deutschen Invasionstruppen. Sein Nationalismus passte aber den Nationalsozialisten nicht: Bandera kam als sogenannter „Ehrenhäftling“ in ein deutsches KZ – dort hatte er zwei Räume für sich allein, laut Wikipedia mit Teppich.

Die Ukraine befindet sich im Krieg. Die schlimmen Scharmützel im Donbass haben den ukrainischen Nationalismus zum Blühen gebracht. Das Land ist marode, es kann froh sein, dass es noch nicht zahlungsunfähig ist. Wichtig war indes Poroschenko und seiner Regierung die Verabschiedung der zwei obengenannten Gesetze. Wieso, weshalb, warum?

Wer nicht fragt, bleibt dumm. Freundlicherweise gibt ein Angehöriger von Poroschenkos Präsidialkanzlei in Kiew Auskunft: Der Kommunismus habe der Ukraine geschadet, unter dem Stalinismus hätten viele Ukrainer ihr Leben verloren. Also muss nun geschichtspolitisch aufgeräumt werden, meint man in Kiew. Dass in der Ukraine viele alte Leute leben, die – warum auch immer – gute Erinnerungen an die Sowjetunion zu haben meinen, wird übergangen.

Die Symbole der Sowjetunion sollen ausradiert werden, auf der Straße und zu Hause. Die Besitzer von Souvenirständen müssen umdenken: Nachgemachte sowjetische Militärmützen dürfen nicht mehr verkauft werden. Jugendliche sollten Acht geben: Che-Guevara-T-Shirts seien okay, heißt es aus der Präsidialkanzlei, T-Shirts mit Hammer und Sichel sind verboten.

Es geht aber nicht nur um Symbole. Es geht auch um Namen. Alle Straßen und Städte, die nach sowjetischen Politikern benannt sind, sollen umbenannt werden. Der Hotelmanager Groucho Marx wäre entzückt: Da ist für ein großes, nicht besonders gut geordnetes Land vorgesehen, was das Filmpublikum seit 1946 zum Lachen bringt. Die Millionenstadt Dnipropetrowsk, um ein Beispiel zu nennen, muss umbenannt werden. Denn der Name, der ihr 1926 verpasst wurde, setzt sich zusammen aus dem Namen des Flusses Dnjepr und dem des – international durchaus unbekannten – sowjetischen Funktionärs Grigori Iwanowitsch Petrowski. Gar nicht zu reden von den vielen Lenin-Straßen in der Ukraine.

Das zweite Gesetz zur historischen Säuberung hat es auch in sich: Polen ist auf Stepan Bandera nicht gut zu sprechen. Dessen Partisanen-Einheiten haben nämlich auch viele Polen umgebracht. Auch in der Präsidialkanzlei findet man, das sei misslich gelaufen. In der Tat: Dieses Gesetz wurde in der Rada, dem ukrainischen Parlament, just an dem Tag zur Abstimmung gestellt, als der polnische Präsident zu Gast war. An sich, so ist zu hören, habe man vorgehabt, das Gesetz erst später zur Abstimmung zu bringen. Aber an jenem Tag sei der zuständige Sprecher abwesend gewesen, also habe sein Vize die Agenda übernommen, und der habe die Anwesenheit des polnischen Präsidenten übersehen. Das Gesetz werde nun aber überarbeitet. Wenn Ausländer Zweifel daran äußerten, dass Bandera ein Volksheld gewesen sei, würden sie dafür nicht verfolgt.

Groucho Marx, nicht der Hotelmanager, sondern der echte Groucho Marx, lebte er heute, würde vielleicht sagen: „Viele Leute in der Ukraine sind passioniert zivilgesellschaftlich unterwegs. Viele haben gute Pläne für ihr Land. Aber viele auch nicht.“ Man mag sich damit beruhigen, dass der ukrainischen Regierung zuzutrauen ist, dass sie diese geschichtspolitischen Gesetze nicht weniger nachlässig umsetzt als etliche andere.


Aus: Frankfurter Allgemeine vom 16.10.2015 – Seite 11
%d Bloggern gefällt das: