Selten hat der Karlspreis einen Besseren getroffen als jetzt Emmanuel Macron. Er plädiert für mehr fiskalische Solidarität in der Euro-Zone. Wie kann er sich das erlauben? Teils liegt es an der Vorherrschaft des keynesianischen Denkens in Frankreich. Ein wenig liegt es auch an Ludwig XIV.
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Ludwig XIV. hatte zwar die Macht im Staat zentralisiert und die hohe Aristokratie weitgehend entmachtet, doch wurde letztere dafür großzügig von Steuerzahlungen ausgenommen. Das schuf böses Blut, weshalb nach der Revolution 1789 Ludwig XVI. und viele Aristokraten das ihre widerwillig vergossen. Des Sonnenkönigs Erbe wirkte freilich fort: Zumal unter gut betuchten französischen Männern hat sich ein hie und da an Handgelenken oder in Gestalt von Schuhschnallen aufblitzendes Faible für Schmuck gehalten. Und bis heute erwarten sehr viele Franzosen von ihrem Präsidenten, dass er mit herrscherlicher Allüre auftrete.
Emmanuel Macron hätte natürlich nicht an den Sonnenkönig angeknüpft, das wäre denn doch zu viel gewesen – General de Gaulle ist für seine Zwecke ausreichend. Was an Grandeur noch fehlen könnte, macht er rhetorisch wett und spricht sich selbst eine „jupiterhafte“ Regierungsweise zu. Das schmeckt nicht jedem. Von den 200 000 basisdemokratisch bewegten Anhängern, die für ihn Wahlkampf machten, sollen bloß noch 100 000 übrig geblieben sein. Immerhin – kann man sagen.
Macrons Bewegung „En Marche“, so hat er es geplant, soll nun ergründen, was das Volk denkt. Mutig ist das. Nachdem er schon ein halbes Jahr im Amt war und den Umbau Frankreichs begonnen hatte, sagten im Dezember 2017 immer noch 80 Prozent aller Befragten dem Pariser Meinungsforschungsinstitut Cevipof, die Herrschenden würden sich nicht für die Meinung normaler Leute interessieren; mehr als zwei Drittel hielten sämtliche Politiker für „korrupt“. So schnell geht eine alte Kultur des Misstrauens eben nicht verloren.
Nicht dass die Franzosen ihren Präsidenten köpfen wollen, sie verstehen aber seine Politik nicht. Die Wähler sehen Einschnitte und Sparmaßnahmen – die betreffen Rentner, Angestellte, Hochschulen –, sie sehen Kämpfe mit den Gewerkschaften; und sie sehen, dass Macron die Reichensteuer (ISF) gesenkt hat. Mehr als die Hälfte der Franzosen denkt, das sei typisch – mehr vom selben: Wer hat, dem wird gegeben. Macrons große Reformen, wenn sie denn anschlagen, können erst in ein paar Jahren ihre gute Wirkung zeigen; aber Frankreichs superreichen Unternehmern, auf die er setzt, wollte er sofort ein Geschenk machen. Er fährt also doppelgleisig.
Ebenso zwiegestaltig ist Macrons Europa-Politik: Er beharrt auf der Bedeutung des Nationalstaats und will gleichzeitig die EU stärken. Das ist kein Widerspruch in sich. Eine zerfallende EU würde Frankreichs Bedeutung in der Welt verkümmern lassen. Nur mit der EU bleibt Frankreich stark. Deshalb ist Macron sogar bereit, ein wenig der französischen Staatssouveränität aufzugeben. Das gilt im Besonderen für seine Vorschläge, die europäische Bankenunion zu vervollkommnen und einen europäischen Währungsfonds zu schaffen.
Damit wäre der vormalige Finanzminister Wolfgang Schäuble sogar einverstanden gewesen – nur dass Schäuble sich darunter etwas ganz anderes vorstellte als Macron. Deutsche pochen darauf, dass jeder vor seiner eigenen Tür kehren möge, bevor die EU einem Mitgliedsland zu Hilfe kommt. Ist es den Deutschen zum Vorwurf zu machen, erfolgreiche Exporteure zu sein? Nein. War es ein Fehler deutscher Anleger, dass sie Milliarden in die Anleihen südlicher Länder und ihrer Banken investierten? Eigentlich nicht, denn die Ratingagenturen hatten diese gut bewertet. Ergibt sich daraus nicht zwingend, dass im drohenden Fall der Insolvenz solcher Staaten und ihrer Banken zuerst die ausstehenden Schulden an die auswärtigen Gläubiger gezahlt werden müssen? Durchaus. Ist es nicht notwendig und vernünftig gewesen, dass die Schuldnerstaaten sparten – ohne Rücksicht auf wachsende Arbeitslosigkeit und Armut –, damit die Euro-Zone nicht in Misskredit gebracht werde? Ja. Zu dieser Meinung neigten die deutschen Zuständigen.
In Frankreich sieht man das anders. Dort ist die Wirtschaftslehre stark im keynesianischen Denken verwurzelt, demzufolge ohne Nachfrage selbst das beste Angebot keine Abnehmer findet; eine lockere Geldpolitik stört da nicht. Dem entspricht Macrons Plädoyer für mehr fiskalische Solidarität in der Euro-Zone. Er ist mit mehr Hingabe Europäer als Angela Merkel, weil er Franzose ist.
In ihrem Buch „Euro. Der Kampf der Wirtschaftskulturen“ haben Markus Brunnermeier, Harold James und Jean-Pierre Landau erklärt, was der Unterschied ist zwischen der deutschen Auffassung von guter staatlicher Finanzpolitik und der französischen. Mit einem Körnchen Salz gesagt geht letztlich alles auf den Sonnenkönig zurück. Zuerst repräsentierte Ludwig XIV. den absoluten Staatswillen; seitdem Frankreich eine Republik ist, trat an Königs Stelle das Volk, das der Regierung die Macht verleiht. Eine unabhängige Zentralbank, wie es sie in der Bundesrepublik gegeben hat, passt dazu nicht.
Die französische Regierung im Vollbesitz ihrer Macht über die Fiskalpolitik darf anderen helfen, wenn sie das für richtig hält. Sie darf Geld schöpfen, Kredite vergeben. Föderal strukturierte Staaten wie die Bundesrepublik, so die Autoren, müssen hingegen „die Geldschöpfung begrenzen, weil diese die Einkommen auf ungleiche Weise beeinflussen könnte“. Solche unterschiedlichen Erwägungen sind einhergegangen mit der Empfindsamkeit des jeweiligen Volkes: Den meisten Franzosen ist der Wert ihrer Währung weniger wichtig als den Deutschen. Unwahrscheinlich ist es, dass die deutschen Unterhändler über ihren Schatten springen können. Wenn es im Sommer zu einer Fortbildung der EuroZone kommen soll, darf Macron nicht als Jupiter auftreten. Idealerweise kommt er als dessen griechisches Pendant, als charmanter Zeus, am besten in Gestalt des Goldregens.