Auf in die nächste Krise!

Nach dem Börsencrash von 1929 wurde in den USA ein Gesetz gegen fahrlässige Bankgeschäfte erlassen: der Glass-Steagall Act. Bill Clintons Regierung gab ihn auf. 2007 begann eine neue Finanzkrise. In der Folge wurde das Dodd-Frank-Gesetz verabschiedet. Der Bankerfreund Donald Trump will es nun abschaffen.

VON FRANZISKA AUGSTEIN

Der verstorbene amerikanische Historiker Tony Judt hat sich am Ende große Sorgen um sein Land gemacht: Die im Sauseschritt vorangehende Emanzipation von jeglichem Geschichtsbewusstsein werde üble Wirkung zeitigen. Die Haltung des jetzigen US-Präsidenten ist eine Travestie von Judts Befürchtung: Trump erinnert sich nicht einmal daran, was er im Wahlkampf versprochen hat. Fleißig hat er erklärt, er werde den Glass-Steagall Act von 1933, der 1999 komplett aufgehoben wurde, wieder einführen. Jetzt ist ihm der Dodd-Frank Act von 2010, ein schwacher Abklatsch des Glass-Steagall-Gesetzes, ein Dorn im Auge.

In den Neunzigerjahren war die Regierung Clinton auf die Deregulierung des Finanzsektors erpicht. Das Glass-Steagall-Gesetz störte dabei: In Folge des großen Crashs von 1929 und der anschließenden Depression der US-Wirtschaft entworfen, sah es vor, dass Banken sich entscheiden mussten, ob sie das Geld ihrer Einleger verantwortungsbewusst verwalten oder ob sie riskante Börsengeschäfte tätigen. Diese vernünftige Trennung passte den Finanz-Boomern der Neunzigerjahre nicht in den Kram. Ironie begabte Historiker wie Tony Judt würden wohl sagen: Für den beharrlichen Einfluss der USA auf die ganze Welt war es absolut notwendig, das Glass-Steagall-Gesetz abzuschaffen, denn sonst hätte das US-Finanzsystem nicht 2007 in eine Krise rutschen können, die fast alle Länder des Globus erfasste.

Die Krise führte in den USA dazu, dass 6,5 Millionen Haushalte mangels Bedienung der Hypothekenzahlungen enteignet wurden. Die Zahl der Arbeitslosen stieg und stieg. Als Präsident Obama 2008 ins Amt kam, wusste seine Regierung: Es musste etwas getan werden, sofort. Die US-Regierung legte Konjunkturprogramme auf; Arbeitslosengeld wurde länger ausgezahlt, als zuvor üblich; Geld wurde bereitgestellt für Gesundheitsfürsorge. Dazu kam der Versuch, den Casino-Kapitalismus per Gesetz einzudämmen: 2010 wurde der Dodd-Frank Act verabschiedet. Das gut gemeinte Gesetz ist so kompliziert, dass Fachleute sagen: Selbst gutwilligste Banker würden es nicht verstehen und daher auch nicht umsetzen können.

Das Dodd-Frank-Gesetz trägt dem Umstand Rechnung, dass die Finanzindustrie seit den 1930er-Jahren zu groß und zu mächtig geworden ist, als dass man Banken dazu zwingen könnte, sich von riesigen Zweigen ihrer Geschäfte zu trennen. Die kleinere Lösung, auch praktikabel, ist das Trennbankensystem: Die Banken dürfen weiterhin Eigengeschäfte betreiben, müssen sie aber in der Bilanz strikt vom normalen Kundengeschäft trennen; sie dürfen nicht mit den Einlagen unwissender Kunden spekulieren. Außerdem müssen die Banken mehr Eigenkapital vorhalten, so dass sie im Fall einer neuen Krise nicht sofort insolvent sind. Ob solcher Vorschläge war die Finanzbranche entsetzt, das Gejammer war groß. Lobbyisten rannten den Zuständigen die Türen ein. Sie halfen, das Gesetz zu verwässern – eine Ausnahme hier, eine Sonderregelung dort. Der Glass-Steagall Act ist 37 Seiten lang. Das Dodd-Frank-Gesetz umfasste Ende 2016 mehr als 22 000 Seiten. Und dabei war ein Fünftel der 390 Vorgaben noch gar nicht fertig formuliert.

Der Schluss, die Bürokratie sei die beste Helferin des Casino-Kapitalismus, ist aber nicht ganz richtig. Der Dodd-Frank Act hat Wirkung gehabt, zusammen mit den Auflagen des internationalen Vertrags „Basel III“, die auch vorsehen, dass Banken ihr Eigenkapital deutlich erhöhen müssen.

In den USA hat das besser funktioniert als in der Eurozone. Amerikanische Banken halten derzeit im Schnitt 7,5 Prozent Eigenkapital als Puffer für den Fall einer neuen Finanzkrise, in der Eurozone sind es lediglich 5,4 Prozent. Man darf auch nicht vergessen, dass die US-Regierung darniederliegende Banken in staatliche Abwicklung gezwungen hat. Später wurden sie zurückverkauft. Diese Transaktionen sollen die US-Regierung am Ende lediglich 30 Milliarden Dollar gekostet haben. Vermutlich lag der Gesamtpreis deutlich höher, aber nicht so hoch wie in der Eurozone, wo die Rettung der Banken die Steuerzahler unendlich viel teurer gekommen ist.

Alles ist gut in den USA? Nein. Auch seit der Finanzkrise, sagt der deutsche Ökonom Rudolf Hickel, seien die großen Banken „weiter gewachsen“. Trotz der Erhöhung des Eigenkapitals hätten sie – anders als ihre europäischen Konkurrenten – eher mehr Gewinn gemacht als früher. Mehr wirksame Regulierung sei „das Gebot der Stunde“.

Im Finanzmarktkapitalismus geht es zu wie im Sport: Wird ein Doping-Mittel aufgespürt und verboten, wird sofort etwas anderes erfunden, was nicht ad hoc erkannt werden kann. Was 2010 an Regulierungsmaßnahmen beschlossen wurde, ist längst überholt von neuen hochkomplexen Finanz-Ideen. Trotzdem wäre es ein Fehler, das Dodd-Frank-Gesetz abzuschaffen.

Donald Trump ist aus Sicht vieler völlig unberechenbar. Also haben die Trump-Exegeten sich darauf verlegt, seine Entourage darauf hin zu beschauen, was der Präsident wohl wirklich wollen werde, statt es bloß anzukündigen. Klar ist: Trumps Wirtschaftsberater Gary Cohn hat den Auftrag, das Dodd-Frank-Gesetz abzuwickeln. Das dürfte indes nicht ganz einfach werden: Die Entscheidung darüber liegt beim Kongress. Der ist zwar von Politikern von Trumps Partei dominiert. Aber es dürfte etliche Republikaner geben, die nicht damit einverstanden sind, dass Trump sich im Wahlkampf für die Wiedereinführung des Glass-Steagall-Gesetzes einsetzte und heute dessen schwachen Nachfolger, den Dodd-Frank Act, abschaffen will. Auch ihnen dürfte auffallen, was der Ökonom Hickel sagt: „Der Opportunismus Trumps ist nicht mehr zu überbieten.“


Aus: Süddeutsche Zeitung (Bayern) vom 10.02.2017 – Seite 16
Dieser Text stammt aus „Augsteins Welt“ – einer vierzehntägigen Kolumne in der Süddeutschen Zeitung