In Danzig und Brüssel entstehen zwei internationale Geschichtsmuseen
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Der bloße Umstand, dass die Organisatoren über den nationalen Tellerrand hinausblicken, bedeutet nicht automatisch, dass die Besucher aus ihrer eigenen Suppenschüssel herauskommen. Den ob das gelingt, hängt davon ab, wie die Ausstellungen konzipiert werden.
Im achtzehnten Jahrhundert meinte man, Kinder und das gemeine Volk müssten sinnlich erzogen werden. Nicht allein auf – gern mit Strafandrohungen untermauerte – Einsicht setzte man, sondern auf die Anschauung: Zeitgenössische Kinderbücher zeigten grausige Hinrichtungsszenen. „Pädagogen und Politiker müssen die Einbildungskraft der Menschen beherrschen“, hat Bruno Preisendörfer auf seiner „Reise in die Goethezeit“ in seinem jüngsten Buch referiert. Damit sind zwei Konzepte umrissen, die derzeit die Debatten darüber bestimmen, wie historische Ausstellungen gestaltet werden sollten: Appelliert man an den Verstand, oder setzt man darauf, die Besucher mit sinnlicher Erfahrung zu überwältigen? Lädt das Museum zum Nachdenken ein, oder ist es ein lauter Event-Parcours, der alle Sinne beschäftigt, so dass man am Ende hinaustorkelt wie nach einer Fahrt mit der Achterbahn? Werden Touristen dazu animiert, sich Gedanken zu machen, oder wird alles so knusper-fertig präsentiert, dass die Besucher nur hinausstapfen können mit dem Gefühl „abgehakt“?
Paweł Machcewicz legt auf Multimedia-Ausstellungstechnik keinen Wert: Er setzt auf Objekte und Erklärungen. Manche Objekte bedürfen keiner großen Erklärung: Das Königlich-Belgische Militärmuseum hat Danzig einen Panzer überlassen, der wegen seines Gewichts aufgestellt werden musste, bevor das Gebäude überhaupt fertig ist. Dieser Panzer steht für sich. Fraglich ist, was ein Kinderschuh zu besagen hat: Ein kaputter Kinderschuh, wie es viele gibt, der nur deswegen bedeutsam ist, weil irgendjemand ihn nach dem Warschauer Aufstand aus den Trümmern gezogen hat. Viele deutsche Museumsfachleute halten die auratische Aufladung von Objekten für dubios. In Polen ist das anders.
Das Museum wird allein von polnischem Geld finanziert. Anders, so ist zu hören, hätte man es gegen den Widerstand polnischer Nationalisten nicht durchsetzen können. Zu groß war die Gefahr, dass diese das Museum erfolgreich totgeredet hätten: Polens Geschichte werde von Ausländern dominiert.
Den Ausgang der jüngsten Parlamentswahlen in Polen haben einige Museumsmitarbeiter in Danzig befürchtet: Die Partei Pis, „Recht und Gerechtigkeit“, bescheidet sich damit, dass Polen vornehmlich eine Nation von Opfern, Märtyrern und Helden sei. An einer weiter ausgreifenden Darstellung des Zweiten Weltkriegs ist die Pis nicht interessiert. Viele Mitarbeiter des Museums haben ihre Aufgaben mit Feuereifer versehen, damit nicht rückgängig gemacht werden könne, was geplant ist.
Leider hat das Ausstellungskonzept eine Schwäche. Seit einigen Jahren ist es üblich geworden, international operierende Agenturen damit zu beauftragen, Ausstellungen einzurichten. Die haben eine oder mehrere Blaupausen, die sie dem jeweiligen Thema anpassen. So hat das beauftragte Büro in Belgien dem Danziger Museum in mannshohen Lettern das Wort „Terror“ neben den Eingang zu dem Raum gestellt, in dem es um die Shoah geht. Der Holocaust war aber nicht Terror, er war staatlich organisierte Vernichtung. Außerdem plant man, unter dem Rubrum „Die langen Schatten des Krieges“ die Ausstellung mit einer „Collage“ zur islamistischen Terrororganisation IS enden zu lassen. Die Entstehung des IS hat viele Gründe, aber ganz gewiss hat keiner davon mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun.
Wenn das Kuratorium das mitmacht, so lässt sich das vermutlich mit Rücksicht auf die polnische Innenpolitik erklären: Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig erlebt so viele Anfeindungen, dass die Wissenschaftler aus aller Welt nicht zusätzliche Sorgen machen möchten.
Ebenso wie das Museum in Danzig soll das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel im Jahr 2016 eröffnet werden. Es gibt aber derzeit offenbar noch keine ausgereifte Planung für die Dauerausstellung. Die Museumsdirektorin Taja Vovk van Gaal wartet bisher lediglich mit guten Absichtserklärungen auf. Wenn es nach dem Historiker Włodzimierz Borodziej geht, dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats, soll das Museum die Geschichte Europas zeigen und darüber hinaus im Sinn der Europäischen Union identitätsstiftend wirken. Andreas Wirsching, der Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, kommentiert kritisch: „Die Geschichtspolitik der EU ist sehr stark von oben nach unten gerichtet.“ Zugespitzt formuliert, heißt das: Volksbeglückung vonseiten der Regierenden statt Diskussion.
Die Europäische Union erlebt derzeit eine große Krise. Einige Unterzeichnerstaaten sind nicht bereit, den Auflagen der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und des Protokolls von 1967 zu folgen, die gebieten, dass politisch Verfolgte aufgenommen werden müssen. Die Idee des einigen Europa ist in Frage gestellt. Unklar ist, ob die Museumsplaner in Brüssel meinen, es genüge, vorerst eine Europa-Geschichte in Brüssel zu präsentieren. Museumsfachleute wie etwa der Historiker Volkhard Knigge empfehlen Wanderausstellungen, die Europas Geschichte samt dem Projekt „EU“ und der Debatte darüber präsentieren.
Knigge, der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, warnt: Zunehmend würden historische Museen konzipiert als „eine Zeitreise, die nicht wehtut“. Als mediales Rambazamba. „Eine gute Ausstellung“, sagt Knigge, „führt die Besucher nicht am Nasenring. Eine gute Ausstellung beschließt sich in den Köpfen der Zuschauer.“