Ein Besuch bei dem palästinensischen Politiker und Diplomaten Abdallah Al-Frangi in Ramallah.
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Der palästinensische Diplomat Abdallah Al-Frangi lebt seit den frühen Sechzigerjahren vornehmlich in Deutschland. Eigentlich hatte er Medizin studieren wollen. Aber nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967, er war 23 Jahre alt, beschloss er, als Partisanenkämpfer auf Seiten der Fatah in Israel für die palästinensische Sache einzustehen. Der Versuch scheiterte kläglich, woraus er die Lehre zog, von nun an lieber mit dem Wort zu überzeugen als mit Waffen.
Viele deutsche Politiker lernten ihn schätzen. Der Sozialdemokrat und legendäre Araber-Freund Hans-Jürgen Wischnewski machte sich oft einen Spaß daraus, ihn mit den Worten vorzustellen: „mein Freund, der Terrorist“. Als Ratgeber von Mahmud Abbas, dem jetzigen Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, war Al-Frangi unlängst in Gaza-Stadt, um mit Führern der Hamas darüber zu verhandeln, wie Abbas‘ Fatah und die Hamas künftig gemeinsam an einem Strang ziehen können, statt einander zu bekämpfen. Bis kurz vor Weihnachten war er in Ramallah, wo die SZ ihn besucht hat.
Am Flughafen von Tel Aviv wartet ein palästinensischer Herzchirurg, um die Besucherin abzuholen. Es ist ein Freitag, heute muss er nicht operieren. Außerdem hat er als Arzt ein besonderes Nummernschild am Auto: Von den israelischen Sicherheitskräften wird er nicht lange aufgehalten. Natürlich gibt es auch Taxiunternehmen, die zwischen Tel Aviv und der Westbank fahren dürfen, aber Abdallah Al-Frangi ist der Sohn eines stolzen Beduinen-Scheichs: Er pflegt die Gastfreundschaft, wie er sie als Kleinkind kennengelernt hat, vor der Vertreibung 1948, als die Familie nahe Beerscheva Ländereien besaß und etliche Gästezelte ihr aus schweren Steinen erbautes Haus umstanden, das so imposant und mächtig war wie der Vater. Also hat Al-Frangi den Herzchirurgen zu dem Freundschaftsdienst gewonnen, sich an seinem freien Tag als Chauffeur zu betätigen.
Links und rechts der Straße, die von Tel Aviv nach Ramallah führt, stehen über lange Strecken Mauern, ähnlich denen, die auf deutschen Autobahnen als Schallschutz aufgebaut sind – für Terroristen, die eine Leiter mitbringen, sind sie kein großes Hindernis, wohl aber für arglose Bürger. Die Mauern erheben sich unvermittelt an vielen Stellen auf dem kleinen palästinensischen Territorium der Westbank. Nicht nur müssen viele Bauern langwierige Umwege zu ihren Feldern auf sich nehmen, nicht nur sind viele Familien von ihren Verwandten abgeschnitten, obendrein vermitteln die Mauern den Palästinensern das Gefühl, der Regierung und ihrem Militär ausgeliefert zu sein.
Die eigentlich illegalen, von der israelischen Regierung aber geförderten Siedlungen sind ihrerseits auch ummauert oder umzäunt und gut bewacht – sie machen den Eindruck von komfortablen MiniGettos. Muss es nicht furchtbar sein, dort zu leben? Abdallah Al-Frangi sagt: Nein, diese Siedlungen würden vom Staat dermaßen gut subventioniert, dass ihre Bewohner einen besseren Lebensstandard hätten als viele andere Israelis.
Vor Kurzem ist Al-Frangi aus Gaza-Stadt zurückgekehrt. Die Verhandlungen, die er als Vertreter der Fatah mit der Hamas führte, sagt er, seien gut gelaufen. Die Hamas ist stolz: Immerhin acht Tage lang konnte sie im November gegen das israelische Militär standhalten. Ihr Einsatz bewirkte unter anderem, dass anschließend 20 000 Häuser zerstört waren; und der Emir von Katar versprach 450 Millionen Dollar für den Wiederaufbau; und die Türkei ist ohnedies voller Wohlwollen. Dass die Hamas sich stark fühle, sagt Al-Frangi, habe bei den Verhandlungen geholfen.
Schon 1987, rekapituliert Al-Frangi, kam die israelische Regierung auf die Idee, die Palästinenser gegeneinander auszuspielen – sie verfuhr nach dem altrömischen Motto „teile und herrsche“. Damals erhielt die Hamas die Genehmigung zum Bau sozialer Einrichtungen im Gazastreifen, was ihr ermöglichte, dort zu einer politischen Macht zu werden. Die israelische Regierung, sagt Al-Frangi, habe es darauf angelegt, die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO von innen auszuhöhlen. Damals war die Fatah unter ihrem Führer Jassir Arafat die bei Weitem stärkste Fraktion in der PLO. 1993 wurde das spektakuläre Abkommen von Oslo abgeschlossen, das den Palästinensern eine gewisse Autonomie zugestand. Daraufhin erhielten etliche verdiente Kämpfer der Fatah administrative Posten in der neuen Autonomiebehörde, die sie zuallererst dazu nutzten, ihr eigenes Säckel zu füllen.
Ebenso wenig hilfreich war, dass Arafat wie ein feudalistischer Patriarch regierte und Geld nach Gusto verteilte. Kein Wunder war es, dass die Hamas, die soziale Einrichtungen im Gazastreifen institutionalisiert hatte, bei den Wahlen 2006 dort viel mehr Stimmen erhielt als die Fatah. Anschließend entspann sich ein kleiner Bürgerkrieg zwischen den Kämpfern der Hamas und der Fatah, und seither regiert im Gazastreifen de facto die Hamas.
Dass die Fatah mit der Hamas jetzt ohne Vorbehalte verhandeln kann, liege – so Al-Frangi – auch daran, dass die Hamas den Acht-Tage-Krieg im November nicht vom Zaun gebrochen habe: „Das war eine andere Gruppierung, sie nennt sich ,Volksfront‘, die nahe der Grenze zu Gaza einen israelischen Jeep attackiert hat.“ Die israelische Regierung, sagt er, habe das gewusst, habe aber die Gelegenheit genutzt und erklärt, die Hamas sei verantwortlich für die Sicherheit in Gaza, ergo müsse man nun die Hamas und den Gazastreifen militärisch zur Raison bringen.
Al-Frangi hofft, dass Barack Obama in seiner zweiten Amtszeit wahr machen möge, was er vor Jahren in Kairo ankündigte: Dass es einen palästinensischen Staat geben solle. Und er hofft auf ein gutes Ergebnis der derzeitigen Unterredungen mit der Hamas. Seit Jahrzehnten erlebt er, dass die Palästinenser dazu neigen, lieber einander zu bekämpfen, als gemeinsam für ihre Anliegen zu arbeiten. Jassir Arafat, sagt er, habe das auch so gesehen. Deshalb habe die PLO sich oft militanter gegeben, als sie es war: Sie habe den zum Terrorismus bereiten Rand einfangen müssen.
Arafats Schwächen kennt Al-Frangi genau, und gleichwohl bewundert er ihn sehr. Nicht nur in den Augen der westlichen Welt, auch aus arabischer Sicht sah der ehemalige Student des Ingenieurswesens unmöglich aus, seitdem er die Leitung der PLO übernommen hatte: „Die militärische Kleidung war angemessen“, sagt Al-Frangi, „aber der unrasierte Stoppelbart stand ihm nicht. Er wollte wie Fidel Castro aussehen, aber sein Bartwuchs reichte dazu nicht hin.“ Auch die Kefije habe Arafat nicht besonders gut gestanden, aber die Palästinenser liebten ihn, weil er sie trug. „Mit seiner Militärmütze sah er viel besser aus, aber die setzte er nur auf, wenn es ernst wurde.“
Arafat war ein erfolgreicher Redner, aber kein besonders guter, dies schon deshalb, weil er Arabisch mit einem grässlichen ägyptischen Akzent gesprochen habe. Der beste arabische Rhetoriker der Zeitgeschichte, fügt Al-Frangi an, sei General Nasser gewesen, und der zweitbeste König Hussein von Jordanien.
Als Jitzchak Rabin 1995 ermordet wurde, weinte Arafat. Er weinte, sagt Al-Frangi, weil er wusste, dass damit das Oslo-Abkommen, das der Premierminister Rabin 1993 unterzeichnet hatte, hinfällig war: Von nun an würde die israelische Regierung nicht mehr auf Ausgleich mit den Palästinensern aus sein. Von nun an würden die Hardliner regieren. Sehr viele der russischen Juden, die nach dem Untergang der Sowjetunion nach Israel auswanderten, sind in der neuen Heimat nicht gut angekommen, sie sind deklassiert, sie wählen jede Partei, deren Politik auf die Diskriminierung der Palästinenser abzielt.
So lange Arafat agieren konnte, hatte er – trotz seines feudalistischen Führungsstils – sein Territorium im Griff. Die Attentate vom 11. September 2001 gaben dem damaligen israelischen Premierminister Ariel Scharon den Vorwand, Panzer vor Arafats Wohnungs- und Regierungssitz „Mukata“ in Ramallah auffahren zu lassen und Arafat einzusperren. Sharon, sagt Al-Frangi, habe sich mit dem US-Präsidenten George W. Bush sehr gut verstanden und ihn dazu gedrängt, den Irak anzugreifen. Und Bush habe Sharon eine Carte blanche für alle Aktivitäten gegen Arafat gegeben.
Mitunter, sagt Al-Frangi, „fuhren die israelischen Panzer ihre Rohre direkt in die Räume der Mukata hinein. Die Eingeschlossenen – Arafat, seine Entourage, ein paar Journalisten – lebten unter erbärmlichen Umständen. Es hat furchtbar gestunken.“ Alle Lebensmittel, die in der Mukata ankamen, wurden kontrolliert. „Jedes Fladenbrot“, sagt Al-Frangi, „wurde probehalber durchstochen.“ Er hält es für durchaus möglich, dass Arafat vergiftet wurde.
Heute steht von der alten Mukata nur noch ein kleiner Block. Das neue Regierungsareal der Autonomiebehörde beherbergt direkt am Eingang auch ein Arafat-Museum. Davor liegt ein Stein, in den ein Vers des Korans graviert ist. Wenn muslimische Palästinenser eingelassen werden und nicht in großer Eile sind, halten sie vor dem Stein inne und beten.
Aus: Süddeutschen Zeitung (Deutschland) vom 28.12.2012 – Seite 11